Chocolat
das bittersüße Aroma der heißen Schokolade, brennt mir in den Augen.
»Ist schon gut, chérie . Wir dürfen uns das alles nicht zu Herzen nehmen. Laß uns eine Tasse Schokolade trinken, das wird uns aufmuntern.«
Wie zwei New Yorkerinnen sitzen wir auf unseren Barhockern, jede mit einer Tasse Schokolade vor sich. Anouk trinkt ihre mit Sahne und Schokostreuseln; meine ist heiß und dunkel, stärker als Espresso. Wir schließen genüßlich die Augen über dem köstlichen Duft und sehen sie kommen – zwei, drei, in Gruppen von einem Dutzend, ihre Gesichter beginnen zu leuchten, als sie sich zu uns setzen, ihre harten, gleichgültigen Gesichter werden weich und drücken Wohlwollen und Zufriedenheit aus. Ich reiße die Augen auf, und Anouk steht bei der Tür. Einen Augenblick lang sehe ich Pantoufle mit aufgeregt zitternden Barthaaren auf ihrer Schulter hocken. Das Licht hinter ihr wirkt irgendwie wärmer; verändert. Verführerisch.
Ich springe auf.
»Bitte, tu das nicht.«
Sie wirft mir einen ihrer finsteren Blicke zu.
»Ich wollte doch nur helfen –«
»Bitte.« Einen Moment lang schaut sie mich trotzig an. Der Zauber glitzert zwischen uns wie goldener Rauch. Es könnte so leicht sein, sagt sie mir mit ihren Augen, so leicht wie das Streicheln unsichtbarer Finger, wie lautlose Stimmen, die die Leute anlocken …
»Das geht nicht. Das dürfen wir nicht.« Ich versuche, es ihr zu erklären. Es würde uns zu Außenseitern machen. Wir würden nie dazugehören. Wenn wir hierbleiben wollen, müssen wir uns so weit wie möglich anpassen. Pantoufle sieht mich bittend an, ein pelziges Etwas in dem goldenen Rauch. Ich schließe die Augen, um ihn nicht zu sehen, und als ich sie wieder öffne, ist er verschwunden.
»Es ist in Ordnung«, sage ich in entschiedenem Ton. »Es wird alles gut. Wir können warten.«
Und schließlich, um halb eins, kommt jemand in den Laden.
Anouk sah ihn zuerst – »Maman!« –, aber ich war sofort auf den Beinen. Es war Reynaud, eine Hand erhoben, um sich gegen das Regenwasser zu schützen, das von der Markise tropfte, die andere zögernd am Türknauf. Sein blasses Gesicht wirkte gelassen, aber in seinen Augen lag eine Art heimliche Befriedigung. Irgendwie spürte ich, daß er nicht als Kunde kam.
Die Glocke bimmelte, als er eintrat, doch er kam nicht an die Theke. Statt dessen blieb er in der Tür stehen, so daß der Wind die Falten seiner Soutane wie Rabenflügel in den Raum blies.
»Monsieur.« Ich sah, wie er die roten Schleifen mißtrauisch beäugte. »Kann ich Ihnen helfen? Ich bin sicher, daß ich Ihre Lieblingssorte kenne.« Automatisch sagte ich meinen Spruch auf, aber es stimmte nicht. Ich habe keine Ahnung, welche Art Vorlieben dieser Mann hat. Er ist für mich wie ein völlig unbeschriebenes Blatt, wie ein dunkler Fleck in Menschengestalt. Es gelingt mir nicht, irgendeine Verbindung zu ihm herzustellen, und mein Lächeln brach sich an ihm wie eine Welle an einer Klippe. Er sah mich beinahe verächtlich an.
»Wohl kaum.« Seine Stimme klang leise und angenehm, aber unter dem professionellen Ton spürte ich tiefe Abneigung. Ich erinnerte mich an Armande Voizins Worte – Wie ich höre, hat unser M’sieur le Curé Sie bereits aufs Korn genommen . Wieso? Eine instinktive Abneigung gegen Ungläubige? Oder sollte noch mehr dahinterstecken? Hinter der Theke richtete ich heimlich Zeige- und Mittelfinger auf ihn.
»Ich hatte nicht damit gerechnet, daß Sie heute geöffnet haben würden.«
Jetzt, wo er uns zu kennen glaubt, ist er selbstsicherer. Sein schmallippig lächelnder Mund erinnert mich an eine Auster – milchig weiß am Rand und dennoch scharf wie eine Rasierklinge.
»Sie meinen, am Sonntag?« Ich gab mich so arglos wie möglich. »Ich hatte auf einen Ansturm am Ende der Messe gezählt.«
Die kleine Spitze traf ihn nicht.
»Am ersten Sonntag in der Fastenzeit?« Er versuchte, amüsiert zu klingen, doch er konnte seinen Abscheu nicht verhehlen. »Damit dürften Sie schwerlich rechnen. Die Menschen in Lansquenet sind einfache Leute, Madame Rocher«, erklärte er. » Fromme Leute.« Er betonte das Wort mit ausgesuchter Höflichkeit.
» Mademoiselle Rocher.« Ein kleiner Sieg, aber genug, um ihn aus dem Konzept zu bringen. »Ich bin nicht verheiratet.«
Er warf einen kurzen Blick zu Anouk hinüber, die immer noch mit ihrer großen Tasse an der Theke saß. Ihr Mund war rundherum mit Schokolade beschmiert, und plötzlich spürte ich es wieder wie das Brennen
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