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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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sah, wie in einem der Fenster hinter ihm das Licht anging. »Irgendwann müßt ihr dawieder rauskommen! Und dann, ihr Schlampen, dann krieg ich euch!«
    Automatisch streckte ich ihm meine ausgestreckten Zeige- und Mittelfinger entgegen, um seine Flüche auf ihn zurückzuwerfen.
    Fort! Böser Geist, mach dich fort .
    Einer der Reflexe, die ich von meiner Mutter geerbt habe. Und dennoch bin ich überrascht darüber, wieviel sicherer ich mich jetzt fühle. Danach lag ich noch lange ruhig und wach im Bett, lauschte dem regelmäßigen Atem meiner Tochter und beobachtete die ständig wechselnden Muster, die das Laub im Mondlicht formte. Ich glaube, ich versuchte wieder, die Zukunft zu lesen, hoffte, in den Mustern ein Zeichen zu finden, ein Wort der Ermutigung … Nachts ist es leichter, an solche Dinge zu glauben, wenn der Schwarze Mann draußen Wache hält und die Wetterfahne auf dem Kirchturm quietscht. Aber ich sah nichts, fühlte nichts und schlief schließlich wieder ein. Ich träumte von Reynaud, der im Krankenhaus am Bett eines alten Mannes stand, ein Kruzifix in der einen und eine Schachtel Streichhölzer in der anderen Hand.

Sonntag, 9. März
    Armande kam heute am frühen Morgen in den Laden, um zu plaudern und eine Tasse Schokolade zu trinken. Sie trug einen neuen hellen Strohhut mit einem roten Band und wirkte frischer und vitaler als gestern. Den Spazierstock nimmt sie wohl nur aus Affektiertheit mit; mit dem leuchtend roten Taschentuch, das sie stets darum bindet, sieht er aus wie eine kleine Rebellenflagge. Sie bestellte chocolat viennois und ein Stück von meinem schwarzweißen Schichtkuchen und machte es sich auf einem Hocker bequem. Joséphine,die mir im Laden aushilft, bis sie etwas anderes gefunden hat, verfolgte das Geschehen von der Küche aus mit leicht besorgter Miene.
    »Ich hab gehört, es hat letzte Nacht einen ziemlichen Wirbel gegeben«, sagte Armande in ihrer direkten Art. Ihre freundlichen dunklen Augen machen ihr betont forsches Auftreten immer wieder wett. »Muscat, dieser Rüpel, hat sich anscheinend mal wieder von seiner besten Seite gezeigt.«
    Ich erklärte ihr die Sachlage so knapp wie möglich. Armande hörte aufmerksam zu.
    »Ich frage mich bloß, warum sie ihm nicht schon vor Jahren den Laufpaß gegeben hat«, meinte sie, als ich geendet hatte. »Sein Vater war keinen Deut besser. Der konnte seine Meinung auch nicht für sich behalten. Und seine Hände genausowenig.« Sie nickte Joséphine freundlich zu, die mit einer Kanne heißer Milch in der Hand in der Tür erschien. »Ich hab schon immer gewußt, daß Sie eines Tages zur Besinnung kommen würden, meine Liebe«, fuhr sie fort. »Lassen Sie sich bloß nichts anderes einreden.«
    Joséphine lächelte.
    »Keine Sorge«, sagte sie. »Das werde ich nicht.«
    Am Mittag kam Guillaume zusammen mit Anouk. In der Aufregung der letzten Tage hatte ich ein paarmal mit ihm gesprochen, doch als er hereinkam, war ich verblüfft, wie sehr er sich verändert hatte. Er wirkte nicht mehr so eingefallen und gesunken. Auf einmal bewegte er sich mit federnden Schritten und trug einen leuchtend roten Schal um den Hals, der ihm etwas Verwegenes verlieh. Mir fiel auf, daß immer noch Charlys Leine um sein Handgelenk gewickelt war. Aus dem Augenwinkel sah ich etwas Dunkles zu seinen Füßen. Anouk rannte an Guillaume vorbei, tauchte unter der Theke hindurch und gab mir einen Kuß.
    »Maman!« trompetete sie mir ins Ohr. »Guillaume hat seinen Hund gefunden.«
    Ich drehte mich um, Anouk immer noch in den Armen.Guillaume stand neben der Tür, mit freudig geröteten Wangen. Zu seinen Füßen wuselte ein Welpe, ein braunweißer Mischling.
    »Schsch, Anouk, das ist nicht mein Hund.« Guillaumes Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Freude und Verlegenheit. »Er war unten am Fluß, in Les Marauds . Wahrscheinlich wollte ihn jemand loswerden.«
    Anouk fütterte den Hund mit Zuckerwürfeln.
    »Roux hat ihn gefunden«, rief sie. »Hat ihn unten am Fluß weinen hören. Das hat er mir selber erzählt.«
    »Ach, du hast mit Roux gesprochen?«
    Anouk nickte geistesabwesend, während sie den Hund kraulte, der sich genüßlich über den Boden wälzte.
    »Ist der süß«, sagte Anouk. »Werden Sie ihn behalten?«
    Guillaume lächelte traurig.
    »Ich glaube nicht, Liebes. Weißt du, nachdem Charly –«
    »Aber er ist ganz allein, er hat gar kein Zuhause –«
    »Es gibt bestimmt Leute im Dorf, die so einem netten kleinen Hund ein Zuhause geben wollen.« Guillaume

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