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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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wir schließlich auf das gute alte Morphium zurück, kauften es auf dem Schwarzmarkt, wenn wir kein Rezept bekommen konnten. Obwohl meine Mutter Drogen verabscheute, war sie zu einem Zeitpunkt, als ihr Körper zu einem schweißtriefenden Tempel für den Schwarzen Mann geworden war und die Wolkenkratzer von New York wie eine Fata Morgana vor ihren Augen verschwammen, dankbar für die erlösenden Spritzen.
    Sie wiegt fast nichts in meinem Arm, ihr Kopf rollt willenlos hin und her. Eine Spur Rouge auf ihren Wangen verleiht ihrem Gesicht etwas Clownhaftes. Ich halte ihre kalten, steifen Hände in den meinen, massiere ihre Finger.
    »Armande. Wachen Sie auf. Armande .«
    Roux beobachtet mich unruhig, sein Ausdruck eine Mischung aus Hoffnung und Verwirrung. Ihre Finger fühlen sich in meiner Hand an wie Schlüssel an einem Ring.
    »Armande«, wiederhole ich etwas schärfer, befehlend. »Sie dürfen jetzt nicht schlafen! Sie müssen aufwachen!«
    Da. Ein kaum wahrnehmbares Zittern.
    » Vianne .«
    Augenblicklich war Roux auf den Knien neben uns. Sein Gesicht war aschfahl, aber seine Augen leuchteten.
    »Sag’s noch einmal, du störrisches altes Weib!« Seine Erleichterung war so groß, daß sie schmerzte. »Ich weiß, daß du da bist, Armande. Ich weiß, daß du mich hören kannst!« Er sah mich erwartungsvoll, beinahe lächelnd, an. »Sie hat doch was gesagt, oder? Ich hab mir das nicht eingebildet, nicht wahr?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Sie ist zäh«, sagte ich. »Und Sie haben sie rechtzeitig gefunden, bevor sie ins Koma gefallen ist. Lassen Sie dem Insulin Zeit zu wirken. Reden Sie weiter mit ihr.«
    »Okay.« Dann fing er an zu reden, ein bißchen durcheinander, atemlos, während er ihr Gesicht nach Anzeichen dafür absuchte, daß sie das Bewußtsein wiedererlangte. Ich fuhr fort, ihre Hände zu massieren, die ganz allmählich wärmer wurden.
    »Du machst uns nichts vor, Armande, du alte Hexe. Du bist so stark wie ein Pferd. Du könntest ewig leben. Außerdem hab ich gerade erst dein Dach repariert. Du glaubst doch nicht etwa, ich hätte das alles getan, damit deine Tochter ein anständiges Haus erbt, oder? Ich weiß, daß du mir zuhörst, Armande. Ich weiß, daß du mich hören kannst. Worauf wartest du noch? Willst du, daß ich mich entschuldige? Okay. Ich entschuldige mich.« Die letzten Worte hatte er fast geschrien, Tränen liefen ihm über die Wangen. »Hast du gehört? Ich habe mich entschuldigt. Ich bin ein undankbarer Bastard, und es tut mir leid. Und jetzt wach endlich auf und –«
    »… und ein lauter Bastard …«
    Er brach mitten im Satz ab. Armande lachte kaum merklich in sich hinein. Ihre Lippen bewegten sich lautlos. Ihr Blick war wach und klar. Roux hielt ihr Gesicht sanft in beiden Händen.
    »Ich hab euch einen Schrecken eingejagt, was?« sagte sie mit dünner, brüchiger Stimme.
    »Nein.«
    »Hab ich doch«, beharrte sie mit einem Ausdruck von Genugtuung und Übermut.
    Roux wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
    »Sie hatten mir meine Arbeit noch nicht bezahlt«, sagte er mit zitternder Stimme. »Ich hatte bloß Angst, ich würde mein Geld nie kriegen.«
    Armande gluckste vergnügt. Sie kam allmählich wieder zu Kräften, und gemeinsam hoben wir sie in ihrenSchaukelstuhl. Sie war immer noch sehr blaß, ihr Gesicht eingesunken wie ein fauler Apfel, aber ihre Augen waren klar. Roux schaute mich an; zum erstenmal seit dem Brand lag keine mißtrauische Wachsamkeit in seinem Blick. Unsere Hände berührten sich. Einen Augenblick lang sah ich sein Gesicht im Mondlicht vor mir, seine nackte Schulter im Gras, zarter Fliederduft stieg mir in die Nase … Meine Augen weiteten sich vor Erstaunen. Roux muß auch etwas gespürt haben, denn er wich verlegen zurück. Hinter uns hörte ich Armande leise kichern.
    »Ich habe Narcisse gebeten, den Arzt zu rufen«, sagte ich. »Er wird jeden Augenblick hiersein.«
    Armande schaute mich an. Ihr Blick war eindringlich, und nicht zum erstenmal fragte ich mich, wie hellsichtig sie sein mochte.
    »Dieser Totengräber kommt mir nicht ins Haus«, sagte sie. »Sie können ihn gleich wieder dorthin zurückschicken, wo er hergekommen ist. Ich hab es nicht nötig, mir von ihm Vorschriften machen zu lassen.«
    »Aber Sie sind krank«, protestierte ich. »Wenn Roux nicht zufällig gekommen wäre, hätten Sie sterben können.«
    Sie warf mir einen spöttischen Blick zu.
    »Vianne«, sagte sie geduldig. »So ist das nun mal mit alten Leuten. Sie sterben. So

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