Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
Vom Netzwerk:
ist das Leben. Es passiert jeden Tag.«
    »Ja, aber –«
    »Und ich gehe nicht in dieses Sterbehaus«, fuhr sie fort. »Das können Sie denen von mir ausrichten. Niemand kann mich zwingen, dorthin zu gehen. Ich lebe seit sechzig Jahren in diesem Haus, und hier werde ich auch sterben.«
    »Niemand wird Sie zu irgend etwas zwingen«, sagte Roux bestimmt. »Sie haben Ihre Medizin nicht rechtzeitig genommen, das ist alles. Nächstes Mal werden Sie schlauer sein.«
    Armande lächelte.
    »So einfach ist das nicht«, sagte sie.
    Störrisch: »Warum nicht?«
    Sie zuckte die Achseln.
    »Guillaume weiß Bescheid«, erklärte sie ihm. »Ich habe mich viel und lange mit ihm unterhalten. Er versteht das.« Sie klang jetzt fast wieder normal, obwohl sie immer noch schwach war. »Ich will diese Medizin nicht jeden Tag nehmen müssen«, sagte sie ruhig. »Ich habe keine Lust, mich an tausend Diätvorschriften zu halten. Ich will nicht von netten Schwestern versorgt werden, die mit mir reden, als wäre ich im Kindergarten. Ich bin achtzig Jahre alt, verdammt noch mal, und wenn ich in meinem Alter nicht weiß, was ich will –«
    Sie unterbrach sich abrupt.
    »Wer ist das?«
    Ihr Gehör funktioniert tadellos. Ich hatte es auch vernommen – das Geräusch eines Wagens, der auf dem holprigen Weg vorfuhr. Der Arzt.
    »Wenn das dieser scheinheilige Quacksalber ist, sagen Sie ihm, er verschwendet seine Zeit«, giftete Armande. »Sagen Sie ihm, es geht mir gut. Sagen Sie ihm, er soll sich jemand anders zum Behandeln suchen. Ich will ihn nicht sehen.«
    Ich schaute nach draußen.
    »Es sieht so aus, als hätte er halb Lansquenet mitgebracht«, sagte ich ruhig. Das Auto, ein blauer Citroën, platzte fast aus den Nähten. Außer dem Arzt, einem bleichen Mann in einem anthrazitfarbenen Anzug, sah ich Caroline Clairmont, ihre Freundin Joline und Reynaud, die sich alle drei auf den Rücksitz quetschten. Auf dem Beifahrersitz saß Georges Clairmont, der schüchtern und verlegen dreinblickte, ein Ausdruck stillen Protests. Ich hörte, wie die Wagentüren zugeschlagen wurden, und über dem plötzlich einsetzenden Lärm vernahm ich Carolines hysterisch-schrille Stimme.
    » Ich hab’s ihr tausendmal gesagt! Stimmt’s George, ich hab’s ihr gesagt! Keiner kann mir vorwerfen, ich hätte meine Pflichten als Tochter vernachlässigt, ich tue alles für diese Frau, und seht euch bloß an, was sie –«
    Knirschen von Schritten auf den Pflastersteinen, dann eine Kakophonie von Stimmen, als die ungebetenen Gäste die Haustür öffnen.
    »Maman? Maman? Halt durch, meine Liebe, ich bin’s! Ich komme! Hier entlang, Monsieur Cussonnet, hier geht’s ins … ach so, ja, Sie kennen sich ja aus, nicht wahr? Meine Güte, wie oft habe ich ihr ins Gewissen geredet – ich habe gewußt , daß so etwas passieren würde –«
    Georges, der einen schwachen Protest versucht:
    »Glaubst du wirklich, wir sollten uns einmischen, Caro, Liebling? Ich meine, laß das doch den Doktor machen, oder?«
    Joline, kühl und herablassend:
    »Ich frage mich sowieso, was er hier zu suchen hatte –«
    Reynaud, kaum hörbar:
    »… hätte zu mir kommen sollen …«
    Ich spürte, wie Roux ganz steif wurde, noch bevor sie den Raum betraten. Er sah sich nervös nach einem Fluchtweg um. Doch es war zu spät. Zuerst kamen Caroline und Joline mit ihren perfekten chignons , ihren Twinsets und Hermès-Halstüchern, dicht gefolgt von Clairmont – dunkler Anzug und Krawatte, ungewöhnlich für einen Arbeitstag in der Holzhandlung, oder sollte sie ihn überredet haben, sich für den Anlaß umzuziehen? –, dann der Arzt, der Priester. Wie in einer Szene in einem Melodram blieben sie alle wie versteinert in der Tür stehen, die Gesichter schockiert, ausdruckslos, schuldbewußt, kummervoll, wütend … Roux starrte sie hochmütig an, eine Hand verbunden, das feuchtklebrige Haar in den Augen, ich stand bei der Tür, der Saum meines orangefarbenen Rocks schlammbespritzt, und Armande, bleich, aber gefaßt, saß vergnügt in ihrem Schaukelstuhl, ein gefährliches Funkeln in den schwarzen Augen und einen Finger gekrümmt wie eine Hexe …
    »Aha. Die Geier sind eingetroffen.« Ihre Stimme klang zugleich leutselig und bedrohlich. »Ihr habt es ziemlich eilig gehabt, was?« Ein scharfer Blick zu Reynaud, der imHintergrund stand. »Sie hatten wohl gedacht, Sie würden endlich Ihre Chance bekommen, wie?« sagte sie giftig. »Sie haben wohl geglaubt, Sie könnten mir schnell Ihren Segen

Weitere Kostenlose Bücher