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Chocolat

Chocolat

Titel: Chocolat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanne Harris
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erteilen, solange ich nicht bei Sinnen war, hä?« Sie stieß ein ordinäres Lachen aus. »Pech gehabt, Francis. Ich bin noch nicht reif für die letzte Ölung.«
    Reynaud schaute verdrießlich drein.
    »Das ist nicht zu übersehen«, sagte er. Ein kurzer Blick in meine Richtung. »Ein Glück, daß Mademoiselle Rocher so … geschickt ist … im Umgang mit Spritzen.« Seine Worte trieften vor Häme.
    Caroline war stocksteif, ihr Gesicht eine gequält grinsende Fratze.
    »Maman, chérie , du siehst doch, was geschieht, wenn wir dich dir selbst überlassen. Du hast uns alle zu Tode geängstigt.«
    Armande wirkte gelangweilt.
    »Die Zeit, die uns das alles kostet! Du hast uns völlig aus der Fassung gebracht –« Lariflete sprang auf Armandes Knie, während Caro redete, und die alte Frau streichelte die Katze gedankenverloren. »Verstehst du jetzt, warum wir dir immer wieder sagen –«
    »Daß ich in diesem Sterbehaus besser aufgehoben wäre?« beendete Armande den Satz trocken. »Wirklich, Caro. Du gibst wohl niemals auf, was? Du bist genau wie dein Vater, weißt du das? Dumm, aber hartnäckig. Das war eine seiner liebenswürdigsten Charaktereigenschaften.«
    Caroline wirkte verdrossen.
    » Les Mimosas ist kein Sterbehaus, sondern ein Altenheim, und wenn du es dir nur einmal ansehen würdest –«
    »Sie flößen einem die Nahrung mit Schläuchen ein, und wenn man mal zum Klo muß, wird man begleitet, damit man nicht reinfällt …«
    »Das ist doch lächerlich.«
    Armande lachte.
    »Meine Liebe, in meinem Alter kann ich mich lächerlichmachen, soviel es mir gefällt. Ich bin so alt, daß ich mir alles leisten kann.«
    »Du führst dich auf wie ein Kleinkind«, sagte Caro eingeschnappt. » Les Mimosas ist ein sehr gutes, sehr exklusives Seniorenheim. Du könntest dich dort mit Leuten in deinem Alter unterhalten, an Ausflügen teilnehmen, alles würde für dich geregelt –«
    »Klingt ja phantastisch.« Armande schaukelte weiterhin gemächlich in ihrem Stuhl. Caro wandte sich an den Arzt, der den Disput verlegen verfolgt hatte. Dem hageren, nervösen Mann schien es peinlich zu sein, Zeuge dieses Familienzwists zu werden. Er wirkte wie ein schüchterner Mann, der zufällig in eine Orgie geraten war.
    »Simon, sagen Sie es ihr!«
    »Nun ja, ich weiß nicht, ob es mir zusteht –«
    »Simon ist ganz meiner Meinung«, schnitt Caro ihm das Wort ab. »In deinem Zustand und in deinem Alter kannst du einfach nicht weiter allein leben. Stell dir das bloß mal vor, du könntest jederzeit –«
    »Ja, Madame Voizin.« Jolines Stimme klang freundlich und vernünftig. »Sie sollten sich einmal überlegen, was Caro sagt … ich meine, natürlich ist es verständlich , daß Sie Ihre Unabhängigkeit nicht verlieren wollen, aber zu Ihrem eigenen Nutzen und Frommen …«
    Armandes Augen funkelten gereizt. Einen Moment lang starrte sie Joline schweigend an. Joline wirkte zunächst entrüstet, dann errötete sie und wich Armandes Blick aus.
    »Raus hier«, sagte Armande leise. »Alle.«
    »Aber Maman –«
    »Alle«, wiederholte Armande kategorisch. »Dem Quacksalber hier gebe ich zwei Minuten unter vier Augen – es scheint, als müßte ich Sie noch mal an Ihren hippokratischen Eid erinnern, Monsieur Cussonnet –, und bis ich mit ihm fertig bin, erwarte ich, daß der Rest von euch Geiern verschwunden ist.« Mühsam versuchte sie, sichaus ihrem Schaukelstuhl zu erheben. Ich stützte sie am Arm, und sie schenkte mir ein gequältes, spitzbübisches Lächeln.
    »Danke, Vianne«, sagte sie sanft. »Ihnen auch –« Das war an Roux gerichtet, der immer noch am anderen Ende des Zimmers stand und ein gleichgültiges Gesicht machte. »Ich möchte mit Ihnen reden, wenn der Doktor weg ist. Gehen Sie nicht fort.«
    »Mit mir?« Roux war nervös. Caro warf ihm einen unverhohlen verächtlichen Blick zu.
    »Maman, in einer solchen Situation, denke ich, sollte deine Familie –«
    »Wenn ich dich brauche, weiß ich, wo ich dich erreichen kann«, sagte Armande spitz. »Ich werde jetzt ein paar Vorkehrungen treffen.«
    Caro sah Roux an.
    »Ach so?« In ihrem Ton lag blanker Abscheu. »Vorkehrungen?« Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß, und ich sah, wie er leicht zusammenzuckte. Es war derselbe Reflex, den ich bei Joséphine beobachtet hatte; ein leichtes Verkrampfen, ein Einziehen der Schultern, die Fäuste tief in den Hosentaschen, wie um eine kleinere Angriffsfläche zu bieten. Unter diesem durchdringend prüfenden Blick wird jeder

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