Chocolat
genausogut Arabisch oder Spanisch oder verlan oder eine Mischung aus allen dreien sein können.
»Ich konnte sehen, daß sie – sie hat mir gesagt, ich soll an den Kühlschrank gehen – da hat sie ihre Medikamente drin –« Die Aufregung ließ ihn erneut mitten im Satz abbrechen. »Ich hab sie nicht angerührt. Ich hab sie noch nie angerührt. Ich würde niemals –« Er spuckte die Wortemühsam aus, wie abgebrochene Zähne. »Sie werden behaupten, ich hätte sie überfallen, ich hätte sie berauben wollen. Aber das stimmt nicht. Ich hab ihr einen Schluck Brandy gegeben, und da ist sie einfach –«
Er verstummte. Ich sah, daß er Mühe hatte, die Fassung zu wahren.
»Ist schon in Ordnung«, sagte ich ruhig. »Sie können mir alles unterwegs erzählen. Joséphine kann hier im Laden bleiben. Narcisse soll vom Blumenladen aus den Arzt rufen.«
Trotzig: »Ich gehe da nicht noch mal hin. Ich hab getan, was ich konnte. Ich will nicht –«
Ich packte ihn am Arm und zog ihn mit mir.
»Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Ich brauche Ihre Hilfe.«
»Sie werden behaupten, es war meine Schuld. Die Polizei –«
»Armande braucht Sie. Los, kommen Sie schon!«
Auf dem Weg nach Les Marauds erfuhr ich den Rest der Geschichte. Roux, der sich wegen seines Wutausbruchs am vorangegangenen Tag in meinem Laden schämte, hatte Armandes Tür offenstehen sehen und sich spontan entschlossen, sie zu besuchen. Er fand sie halb bewußtlos in ihrem Schaukelstuhl vor. Es gelang ihm, sie soweit wachzurütteln, daß sie ein paar Worte flüstern konnte. Medizin … Kühlschrank … Auf dem Kühlschrank stand eine Flasche Brandy. Er füllte ein Glas und flößte ihr etwas von dem Brandy ein.
»Da ist sie einfach … in sich zusammengesunken. Ich konnte sie nicht mehr wach bekommen.« Die Verzweiflung drang ihm aus allen Poren. »Dann ist mir eingefallen, daß sie zuckerkrank ist. Wahrscheinlich hab ich sie umgebracht, weil ich versucht hab, ihr zu helfen.«
»Sie haben sie nicht umgebracht.« Ich war vom Laufen außer Atem und hatte Seitenstiche. »Es wird alles gut werden. Schließlich haben Sie rechtzeitig Hilfe geholt.«
»Was ist, wenn sie stirbt? Wer wird mir dann noch glauben?« Panik machte seine Stimme heiser.
»Beruhigen Sie sich. Der Arzt wird gleich hiersein.«
Armandes Tür steht immer noch offen, eine Katze hat sich im Türspalt zusammengerollt. Im Haus ist es still. Aus einem losen Stück Dachrinne tropft Regenwasser. Ich sehe, wie Roux einen kurzen, prüfenden Blick nach oben wirft: Das muß ich reparieren . Er bleibt an der Tür stehen, als wartete er darauf, hereingebeten zu werden.
Armande liegt auf dem Teppich vor dem Kamin, das Gesicht matt und dunkel wie Waldpilze, die Lippen bläulich verfärbt. Zumindest hat er sie in Seitenlage gebracht, ein Arm stützt Kopf und Hals, um die Atemwege frei zu halten. Sie rührt sich nicht, doch an einem leichten Beben ihrer Lippen sehe ich, daß sie atmet. Ihre Stickarbeit liegt neben ihr, ihre Kaffeetasse ist zu Boden gefallen, und der Kaffee hat einen kommaförmigen Fleck auf dem Teppich gebildet. Die Szene ist seltsam profan, wie ein Standbild aus einem Stummfilm. Ihre Haut fühlt sich kalt und fischig an, ihre dunklen Augäpfel sind durch die Augenlider, die so dünn sind wie eine Crêpe, deutlich zu erkennen. Unter ihrem schwarzen Rock, der bis über die Knie hochgerutscht ist, schauen rote Rüschen hervor. Eine Welle des Mitgefühls überkommt mich beim Anblick ihrer arthritischen Knie in den schwarzen Strümpfen und dem bunten Seidenunterrock unter ihrem farblosen Hauskleid.
»Und?« Die Angst läßt seine Stimme gereizt klingen.
»Ich denke, sie wird sich wieder erholen.«
In seinen dunklen Augen liegen Zweifel und Mißtrauen.
»Sie muß Insulin im Kühlschrank haben«, sage ich ihm. »Das wird es sein, was sie gemeint hat. Holen Sie es, schnell!«
Sie bewahrt es bei den Eiern auf. Die Tupperdose enthält sechs Ampullen Insulin und einige Einmalspritzen. Auf der anderen Seite eine Schachtel Trüffel mit der Aufschrift La Céleste Praline . Ansonsten hat sie kaum etwas Eßbares im Haus; eine offene Dose Sardinen, ein Stück Pergamentpapier mit einem Rest rillettes , ein paar Tomaten. Ich injiziere ihr das Insulin in die Ellbogenvene. Ich beherrsche die Technik gut. Während des letzten Stadiums der Krankheit, für die meine Mutter so viele verschiedene Heilmethoden ausprobiert hatte – Akupunktur, Homöopathie, Kreative Visualisierung –, griffen
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