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Cholerabrunnen

Cholerabrunnen

Titel: Cholerabrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Jahnke
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Tisch.
    „Das mag ja sein. Sicher hatten die Leute damals auch was anderes zu tun, als nur den Toten hinterherzulaufen und jeden Einzelnen zu fotografieren. Aber lesen Sie doch diesen Bericht. Negieren Sie nicht immer gleich alles, nur weil es gerade nicht in die aktuelle Doktrin passt! Da steht es doch… Tiefflieger jagten Menschen. An den Elbwiesen, auf verqualmten Plätzen und gar auf den Alleen des Großen Gartens. Nur in der Heide und oben in Loschwitz, am Weißen Hirsch und so weiter, im Nobelviertel also, da tat man so etwas nicht. Und was ist mit diesen… diesen Gerüchten der Leitung des Angriffes von einer Villa aus den heutigen Ardennelaboratorien heraus? Ich weiß auch nicht, ob das stimmt, aber das stellen Sie nicht einmal im Ansatz infrage. Und da frage ich mich doch… ha, Dopplung… na, das beweist es ja schon fast… ich frage mich, ob es vielleicht bestimmte Interessen für Ihr Tun gibt. Und die will ich lieber auch nicht erfahren, denn mir wird schon beim Gedanken daran schlecht, verstehen Sie? Wer bezahlt Sie eigentlich dafür?“
    Engelhardt fährt auf.
    „HERR WEINERT!!“
    Er lässt sich aber gleich wieder fallen, denn er sieht die Ausweglosigkeit der gesamten Diskussion. Wer oder was soll denn hier siegen? Warum überhaupt? Der Kerl hat nicht alle Tassen im Schrank und er kann ihm doch nicht beweisen, dass er unrecht hat. Ja, wenn man wirklich einmal die alten Elbwiesen absuchen würde… kann es vielleicht zu einem… na ja, zu einer Erklärung kommen, die sie beide akzeptieren können. Diese Unterlagen…
    Er überfliegt die Bögen noch einmal.
    Woher hat der immer solche Sachen? Der muss über Verbindungen verfügen, von denen er selbst nur träumen kann. Ungerecht. Dabei leitet er doch die Interessengemeinschaft und nicht der, der an den alten Doktrin festhält und sich nicht belehren lässt.
    Er flucht. Dann setzt er sich gerade auf.
    „Wissen Sie, Herr Weinert, bis 1989 gab es kaum jemanden, der ein Interesse an einer wirklichen Aufarbeitung hatte. Auch wenn der Westen von den Alliierten befreit und von ihnen, also den westlichen Siegern, wieder aufgebaut und in wirtschaftlichen Schwung gebracht wurde, hatte man dort stets eine ganz andere Einstellung zum Nazireich. So in etwa, wie Sie es jetzt für die SED- und Stasimitarbeiter einfordern. Eben eine Akzeptanz derer, die nicht nur Unrecht, sondern auch zeitgebundenes Recht taten. Strafen für Straftäter, aber nichts davon für die, die einfach nur mitliefen… So wollte man auch den Nimbus nicht zerstören, den der Angriff auf Dresden mit sich brachte. Die Amerikaner und die Engländer als gleichwertige Scheusale im Krieg gegen Deutschland. Die DDR hatte ähnliche, wenn auch ideologisch anders definierte Ziele und Gründe für ähnlichen Erhalt der alten Überlieferungen. Da waren ja Engländer und Amerikaner die bösen Imperialisten, die eine Stadt voller Menschen niedermähten. Und das wiederum bedeutete… nun ja, eben, dass man gegen diese Leute wettern konnte. Die wenigen Überlebenden der Schlacht gegen Dresden, wenn man den Angriff einmal so benennen wollte, konnten wenig sagen, weil es damals viele Geheimnisse auch auf deren Seite gab. Die erfuhren nur die Hälfte und konnten nichts bestätigen noch etwas als absolut falsch einordnen. Auch das war eben so. Leider. Und nun… haben wir wieder ein Land. Und die, die einst hier angriffen, sind unser aller Freunde. Die Russen, die den Westen verteufelten, tun sich noch schwer mit alledem und wollen keine Unterlagen herausrücken. Somit sind auch die unter Verschluss, die die Amerikaner hier in der Umgebung anlegten und die dann beim Austausch der Gebiete… die kamen ja bis Torgau hier heran… beim Austausch also direkt an die Russen fielen. Damit haben wir nichts, als Augenzeugenberichte. Und die… erlebten so vieles. Der Feuersturm war schon schlimm, die Häuser, die in sich zusammenfielen, die Lichterbäume, die man herunterfallen ließ, angeblich auch Phosphor, der brennend auf der Elbe schwamm. Und dann noch der Tod, der vielleicht durch Splitterbomben ausgelöst wurde, wegen denen einige annahmen, dass man mit Maschinengewehren auf sie schoss. Vielleicht waren es sogar einige der Luftschutzhelfer in Uniform, die nicht auf sie Hörende erschossen? Vieles verändert sich in den Jahren. Einige der heute noch lebenden Augenzeugen, die schrieben nie etwas auf und wurden erst jetzt befragt, durften über vierzig Jahre nicht reden, bekamen sogar von den eigenen Kindern den

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