Cholerabrunnen
Mund verboten, weil die durch die Entnazifizierung schon zum Selbstschutz keine andere Meinung als die der hiesigen Kommunisten hören wollten… und durften. Und in all das hinein kommt nun der neue Hass, diese Neonazis, die versuchen, die alten und bisher geheiligten Gedenk- und Feiertage an sich zu reißen, die alten Doktrin wieder aufleben zu lassen. Verstehen Sie das, Weinert? Es ist… ein Trauerspiel, in dem wir alle nur den Kürzeren ziehen. Und Sie mit Ihren vielen Ideen, die Wahrheit ans Licht zu bringen, Sie machen das sicher nicht besser, verstehen Sie? Also, lassen Sie uns doch endlich Frieden schließen und nicht aufeinander herumdreschen… Wem nützt das denn? Ich frage Sie allen Ernstes… Wer hätte etwas davon, wenn eines Tages die Tieffliegergeschichte geklärt ist? Ja, man kann wieder auf ein paar Leute zeigen, die vielleicht inzwischen hochgeehrt im Rollstuhl sitzen und auf ihren baldigen Tod warten. Aber… wem nützt das?“
Weinert steht vor dem Gebäude und stampft immer wieder mit dem Fuß auf den Beton. Hier kann man sich nicht einmal Pflaster leisten, sagt er sich und wird immer verstockter. Was soll das alles? Der Kerl hatte auch noch Recht. Jedes seiner Worte kann er nachvollziehen und könnte auch einen Haken dahinter machen. Und doch… es ist schon etwas anderes, ob man von ein paar Tausenden oder aber von einer halben Million Toter in dieser Stadt an der Elbe spricht. Nicht umsonst hatte man anschließend ein echtes Problem, gab es kaum mehr Männer und fehlten auch Frauen beim Anpacken des Wiederaufbaus. Den… und das vergisst man zu schnell bis heute wieder… die Trümmerfrau ist keine kommunistische Erfindung. Bei Weitem nicht! Man baute schon nach dem 13. Februar wieder auf. Auch, als Mutschmann Dresden zur Festung erklärte, versuchte man, so viel wie möglich ordentliches Leben in die Stadt zu bringen, um dem Feind zu zeigen, hier wäre eben keinerlei Angst vor ihm zuhause.
Er schaut nach dem Ordner unter seinem Arm. Sein Wutanfall eben drückte noch eine Delle hinein und der obere Teil der Mechanik ist nun auch kaputt. Na toll! Noch ein wenig mehr und er kann die Blätter von der Straße klauben. Nein, zurück ins Auto und… er braucht eine Idee, wie er diesen nächsten Tresor hebt. Und den Bauer muss er auch für sich gewinnen. Der soll ihm den Zweiten öffnen. Die Liste des Inventars im Ersten hat er zwar schon, aber Mauersberger will und kann er kein Wort glauben. Darum… na ja, der Bauer wird es ihm bestätigen oder eben die Wahrheit sagen… dazu kommt er noch. Er hat ihn fast. Er braucht nur noch einen Anruf und dann kann er…
Wenn der jetzt abhaut? Das wäre nicht gut. Er kennt seine Adresse. Er muss dahin. Er wird ihn abpassen, so tun, als hätte er schon alles in der Hand. Dann frisst der ihm aus selbiger. Hofft er.
Er springt in seinen Wagen. Wer ihn sieht, wird sich wundern, wie der kleine, dicke und behäbige Kerl plötzlich solch eine Energie entwickeln kann. Ja, die Dicken, denkt er. Verkannt in jeder Form der Gesellschaft. Und zum Schluss schaffen sie es allein, nämlich mit ihrer Gemütlichkeit, vertrackte Situationen wieder zu retten.
Er klopft sich gedanklich auf die Schulter und fährt in die Neustadt von Dresden. Dass der dort noch wohnt? Na, vielleicht ist das auch eine Art Spleen? Wer kann das sagen, wenn nicht Bauer? Da ist schon eine Parklücke und er läuft zu seiner Wohnung keine drei Minuten. Ob er Glück hat? Halt!
Wie angewurzelt bleibt er stehen. Da ist doch… Behringer und so ein junger Schnösel. Was machen die hier? Bauer abholen? Vielleicht. Sie gehen jedenfalls in sein Haus. Er wartet gespannt. Die kommen ihm zuvor… Mist!
„So, hier also. Wie finden Sie sich denn dermaßen gut in der Neustadt zurecht? Das sind Hinterhöfe, verschiedene Aufgänge, dann wieder kleine Häuser in den Innenhöfen und Sie sagen einfach, ‚Ach ja, dort…’ Ist das Normal, Dengler, sollte ich mir Sorgen um mich… oder gar um Sie machen?“
Der Angesprochene grinst.
„Meine Freundin lebt hier nicht weit weg. Da hinten, auf der Paulstraße. Eine ganz schön… kalte ist das. Aber wir gehen hin und wieder essen und danach ist meist noch ein Bummel durch die Straßen drin. Mehr nicht. Das geht nun schon ein Vierteljahr so. Na ja, muss man vielleicht nicht erzählen, aber das beschreibt so etwa meinen Gemütszustand. Verständlich, oder? Daher kenne ich mich hier aus. Ich würde Ihnen lieber vom Alaunpark erzählen und wie toll man da
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