Cholerabrunnen
Mauersberger schaut in die Runde. Drei Augenpaare sind erst auf ihn gerichtet, dann jedoch schauen sie nach unten. Wieder einmal steht man am Cholerabrunnen zusammen, hat einen guten Überblick über das Baugeschehen am Postplatz und beim Schloss. Irgendwann, behaupten informierte Quellen, sollen die Kunstsammlungen wieder dort einziehen. Derzeit sieht es noch lange nicht so aus.
Eben berichtete Mauersberger noch einmal von der vor Jahrhunderten alles im Griff haltenden Cholera. Manche sahen sie gar als Rache Napoleons für seine Niederlage und die Zerschlagung seiner Träume. Hitler, so erfuhr er einst von seinem Vater, soll sich wie eben solch ein General, ein Führer eben gefühlt haben, als er in Paris stand und vergeblich nach einem wirklichen Feind Ausschau hielt. Zum Glück ist das nun alles vorbei. Wenn auch die Jahre danach nicht für jeden in ihrer Runde gut waren. Doch die Cholera blieb gebannt. Andere Seuchen kamen und gingen, dann war auch noch der Krieg mitten in der Stadt. Die Wunden haben sie direkt vor sich. Man will sie verschwinden lassen. Bisher tat man so, als müsse man mahnen. Die Generation, die den Krieg noch bewusst miterlebte, stirbt langsam aus. Auch er zählt sich dazu. Lange leben wird er nicht mehr. Überall spürt er das Ziehen, auch einige Nächte gab es, in denen er gehetzt aufwachte, weil er sein Herz nicht mehr hörte, meinte, ersticken zu müssen. Einbildung, meinte sein Arzt und sah ihn doch besorgt an. Wie man sich als Doktor der allgemeinen Medizin nur jeden Tag aufs Neue darauf einlassen kann, Menschen anderes über ihren Zustand zu berichten, als sie ihn wirklich in sich tragen? Na ja, er geht damit um, meint, zwischen Worten hören und zwischen Zeilen lesen zu können. Ob mit Erfolg? Er winkt ganz für sich selbst ab. Aber jetzt… dieses Durcheinander…
„Wer war es? Sie, Bauer, wie ich es sagte?“
Der zuckt zusammen. Ja, er hatte den Auftrag. Er sollte diesen Wagner observieren, wie man so schön sagt. Ergäbe sich eine gute Gelegenheit, hätte er ihn auch zum Reden gebracht. Vielleicht, dachte er sich, wenn er dessen Freundin in seine Gewalt brächte… aber das war nicht mehr möglich. Nötig? Schon. Irgendwer kam ihm zuvor. Frenzel grinste vorhin dermaßen fies, dass er schon annimmt, der war es, wollte sich auch noch den einzigen sinnvollen Auftrag wegschnappen… und ließ sich am Opfer dermaßen aus, dass ihm jetzt noch die Galle hoch kommt. Immerhin war er ja in der Nähe, fand ihn als Erster, musste dann verschwinden, zusehen, dass er keine verwertbaren Spuren hinterlässt. Gelang ihm scheinbar, denn niemand kam, ihn zu befragen oder gar festzunehmen. Diese ganze Sache läuft schon aus dem Ruder, ohne dass sie wirklich begann.
„Nicht?“
Mauersberger schaut ihn durchdringend an. Frenzels Blick wird kalt und hart und auch Schnittge schüttelt den Kopf.
„Wer denn dann aber?“
Der ehemalige Honorarkonsul blickt fragend in die Runde. Das fließende Wasser übertönt seine leisen Worte fast. Immer wieder sehen sie sich um, ob sich vielleicht jemand hinter sie stellte, ihnen zuhört, sie gar belauscht. Nun werden sie noch vorsichtiger, wollen am Liebsten weg, sich nie wieder sehen. Doch diese Tat, die sie scheinbar nicht begingen, wird sie wohl auf ewig aneinander binden?
„Was gesehen?“
Bauer berichtet. Er war unterwegs, natürlich, um das Paar einzubekommen. Die fuhren an bestimmten Tagen fort. Zumindest waren sie nicht in ihrem Wohnheimzimmer und…
„Wer, bitteschön, ist denn ‚Sie’?“
Bauer versucht, von Marlene Sander abzulenken. Nicht, dass die auch noch zum Ziel wird.
„Freundin… sie leben zusammen… hmm. Kann sie etwas damit zu tun haben oder ist sie auch tot?“
Sicher nicht. So, wie Bauer aus der Presse herauslas… und scheinbar ist er der Einzige der Vier, der sich auf Zeitungsmeldungen verlässt, so jedoch auch meist mehr weiß, was gerade in Dresden und Umgebung geschieht, als sie… muss sie wohl schon vernommen worden sein… na ja, das soll man angeblich nicht mit Toten tun.
„Die Polizei hier lässt zu viele Infos durchsickern. Irgendwem war der Kerl ein Dorn im Auge… und wie sah er nun aus?“
Er fuhr zum allgemeinen Treffpunkt. Sie spazierten gern durch die Dresdner Heide. Da ist es schön still… an manchen Tagen und auf wenigen Wegen. Ansonsten nehmen die Dresdner und die Bewohner der an die Heide grenzenden Orte dieses Stück Wald immer mehr für sich in Besitz. Scheinbar wollten Marlene und Marcus sich
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