Cholerabrunnen
nur Erfolg hat.
„Ja, also…“
Veronika Wagner wischt sich über die Augen.
„… ich sagte ihm einfach, dass mein Sohn dort studiert. Natürlich auch Musiziert… Na ja… Und dann legte er auf. Ich ärgerte mich zwar, denn man sagt ja immer, man soll solchen unbekannten Anrufern gar nichts von sich privat verraten, aber… war eben passiert!“
Nun macht sie sich noch mehr Vorwürfe. Das wollte er mit Sicherheit nicht. Zumal ihr Bericht keinesfalls seine Fragen beantwortet. Was wird hier gespielt, was geht vor, warum musste dieser Marcus Wagner sterben, wenn seiner Mutter als Einziges solch ein belangloses Werbegespräch einfällt? Mehr wird das sicher nicht gewesen sein… er wundert sich über seine verbogenen Gedankengänge… aber wirklich! Wer sollte Marcus umbringen, wenn der in Dresden studiert… weil er es tut? Nein, da muss es andere Gründe geben. Diese neue Szene… Drogen vielleicht? Kann er sich zwar nicht wirklich vorstellen, aber in der heutigen Zeit ist alles möglich.
„Nimmt Ihr Sohn… nahm, meine ich… nahm er Drogen?“
Klatsch… er weicht zwar aus und sie erwischt nur den unteren Teil seiner Wange, aber der Schlag war nicht schlecht. Gewalt? Sie schaut ihn erbost und doch um Entschuldigung heischend an.
„Na ja, wenn Sie nicht einmal einen Grund wissen… mit einem Menschenleben geht man sicher nicht so leichtfertig um. Wir sind ja hier nicht in Russland!“
Er lacht über seinen Witz. Frau Wagner kann ihn nicht einmal verstehen. Sie kannte wohl die alte DDR nicht. Warum aber schickte sie ihren Sohn dann dorthin zum Studium? Schön, wenn Deutschland zusammenwächst, jedoch… wenn er sich umschaut… wäre München sicher die bessere Adresse, als Dresden… im Osten, oder?
„Wir hatten dort Verwandte. Wusste ich bis vor einige Monate nicht einmal. Nun ja, wie die Wende eben alles verändert… und auch das Leben… immer voller Überraschungen…“
Wieder kommen Tränen. Sabine steht auf, entschuldigt sich, rennt dann, die Hände vors Gesicht geschlagen, an ihnen vorbei aus der Stube. Man hört, dass sie im breiten Foyer des Hauses die Treppe hinauf läuft.
„Ihr Zimmer ist oben… und es ist zu viel für sie… das alles!“
Nicht auch für die Mutter? Behringer schaut sie fragend an und sie schüttelt den Kopf.
„Na ja, vielleicht kommt noch mehr nach. Irgendwie ist da eine Leere in mir… auch wenn immer wieder Tränen kommen. Ja, also, ich schlug es ihm vor. Und er war gleich begeistert. Dieses neue Land kennenlernen, da lernen und studieren, Freunde finden, vielleicht miterleben, was sich wie schnell wohin verändert. Na ja, so eine Zeit hatten wir doch alle einmal im Leben, oder? Alles verbessern wollen, nichts verpassen… und dann fertig in der Ecke liegen, nicht mehr wissen, mit wem man letzte Nacht… na ja.“
Sie wird rot, schaut bewusst in eine ganz andere Richtung. Diese Gedanken waren ihr offenbar sehr peinlich. Kann sie nicht mit ihrer eigenen Vergangenheit umgehen oder meinte sie gar das Vorleben ihrer größeren Kinder Sebastian und Sabine?
„Dresden… hätte ich ihm doch nie diesen Tipp gegeben! Brachte man ihn um, weil er ein Wessi war… in dieser Gegend?“
Natürlich gibt es schon Stimmen in seiner Heimat- und Dienststadt, die sich gegen die immerwährende Präsenz der Westdeutschen als die, die alles besser wissen und die besten Posten und Jobs bekommen, wehren wollen. Aber man… man macht doch so etwas nicht, oder? Das geht nicht. Das kann nicht der Grund sein. Zumal die Kollegen bei der ersten Befragung im Wohnheim und bei der Freundin nichts von einem Auto oder gar einem sündhaft teuren, aber in manchen westdeutschen Haushalten bereits vorhandenen Computer erfuhren. Mit Geld schmiss er wohl auch nicht um sich. Dann kann das einfach nicht der wirkliche Grund sein.
Behringer steht auf, läuft ein paar Schritte durch das Wohnzimmer, bleibt an der Terrassentür stehen, schaut auf die weite Wiese hinter dem Haus. Ja, so kann man ganz gut leben… wenn man eben lebt. Tote gab es viele in der Familie. Hmm… Und eine Verbindung gibt es zu Dresden. Dünn. Er weiß noch nicht, welche. Vielleicht sollte er sich nicht an zu kleine Strohhalme klammern? Na ja, aber irgendwo muss er beginnen. In Dresden fanden sie noch nichts. Hätten die Kollegen inzwischen etwas… erführe er es auch erst später. Die Fahrt hierher muss sich aber lohnen. Also, weiterfragen!
„Zu theatralisch. Ganz klar. Das hätte so nicht sein müssen!“
Rolf
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