Cholerabrunnen
schreiben. Und ich werde ihn in meinen Schreibtisch legen. Höre ich innerhalb der nächsten sechs Monate auch nur einmal eine Negativmeldung über Sie und Ihr Tun, dann geht der raus und Sie können Ihre Zulassung vergessen. Und nun ab, raus hier!“
Er schließt die Handschellen auf und gibt dem Journalisten einen Tritt.
„Danke!“
Veronika Wagner nickt Behringer freundlich zu und gießt noch einmal Kaffee nach. Sie braucht sicher nichts, um den Blutdruck zu steigern, aber sie trinkt dieses dunkle Zeug schon ihr halbes Leben lang, kommt keinen Tag ohne aus und trinkt einfach mit. Ihre Tochter sitzt wieder draußen auf der Terrasse und scheint mit der Welt nicht mehr zufrieden, zuckt immer wieder, sodass Behringer bereits daran denkt, einen Krankenwagen oder zumindest einen Arzt holen zu lassen. So etwas kann schnell in eine psychische Schädigung umschlagen. Deren Folgen sind… schlichtweg gefährlich.
„Ja, ist mein Job. Er war nur ein Journalist und wollte ein Interview. Wie er jetzt schon vom Tode Ihres Sohnes… Mein Beileid noch einmal persönlich… ja, also, ich habe da noch einige Fragen. Fühlen Sie sich jetzt in der Lage…?“
Sie nickt.
„Mich kann nichts mehr schocken. Und wenn doch, so muss ich es eben wegstecken.“
Behringer schaut sie an. Wie meint sie das nun wieder? Gut gehalten hat sie sich auf jeden Fall. Nur… was sie da meinte? Er konnte nicht warten, sich nicht über die Wagners informieren, wollte diese Aufgabe auch schnell hinter sich bringen. Er ist schon eine ganze Weile bei der Polizei, aber so brutal sah er noch keinen Toten zugerichtet. Dabei an ein Zufallsopfer zu denken, fällt zumindest recht schwer. Er schluckt noch einmal und zieht dann seinen Notizblock hervor.
„Marcus Wagner. Gerade 19 Jahre alt. Er studierte in Dresden, wie ich beim Einwohnermeldeamt herausfand? Ja, und er bezog auch BAföG. Zwar nur einen kleinen Betrag, doch dabei machte er einige Angaben. Ihr Mann lebt nicht mehr?“
Sie schaut ihn an. Er erkennt die Tränen in ihrem Gesicht. Geht er zu forsch vor? Nein, der Schock sitzt sicher tief, aber sie tappen völlig im Dunkeln. Kein Motiv, nicht einmal ganz klar, wo ihr Sohn getötet wurde. Der Ort, wo man seine verstümmelte Leiche fand, war zumindest nicht der Tatort. Soweit waren die Kollegen schon wegen des fehlenden Blutes nach wenigen Minuten.
„Ja, mein Mann starb bei einem Unfall. Ist paar Jahre her. Letztes Jahr starb dann noch mein Vater an Krebs. Meine Mutter ist schon lange tot. Und nun haben wir nur noch uns… Sabine, Sebastian und ich.“
Sebastian… der Tote hieß Marcus. Also gibt es noch einen Sohn. Sicher älter, aus der Zeit von Sabine Wagner? Nein, das fragt er sie nicht direkt. Immer kann es bestimmte Umstände geben. Manchmal ist es das Wiederaufflammen der Liebe im Alter… oder eben im zweiten Frühling. Den sollen nicht nur Männer erleben… auch Paare machen ihn gemeinsam durch. Hin und wieder.
„Ja, also, Frau Wagner… wir haben Ihren Sohn gefunden. Tot. Leider. Sie wissen es ja schon…“
Veronika schluckt.
„Muss ich ihn…?“
Behringer schüttelt den Kopf. Nein, das kann und will er ihr nicht zumuten. Außerdem erledigte die Identifizierung schon jene junge Frau, Marlene Sander, die nicht nur die Studienbank mit Marcus drückte, sondern auch Bett und… na ja, eben alles teilte.
„Er wurde bereits identifiziert und… ich glaube, es ist besser, wenn Sie ihn so in Erinnerung behalten, wie Sie ihn das letzte Mal sahen. Wann war das eigentlich?“
Sie überlegt. Mitten drinnen bricht es aus ihr heraus, bemerkt sie erst die Wortwahl des Kommissars, der sich inzwischen der Ordnung halber mit Dienstausweis und Marke vorstellte, um nicht auch noch als verkappter Pressemann zu gelten. Der Journalist fragte nicht danach. Behringer lächelt, als er es bemerkt. Der war sich seiner Schuld dermaßen bewusst, dass er lieber verschwand, als sich vielleicht noch nach seinen wenigen Rechten zu erkundigen. Dabei dürfte der Kommissar hier gar keine Verhaftung vornehmen, ohne die Kollegen zu informieren. Die wissen bisher nur, dass er eine Frau Wagner über den Tod ihres Sohnes informieren will. Für die dazu gehörige Befragung gab man grünes Licht und wollte sich nicht erst in diese scheinbar rein sächsischen Angelegenheiten hineinmengen. Unüblich zwar, aber Behringer war ganz froh, keine Mitläufer an die Hand gestellt zu bekommen.
„Vor zwei Wochen. Er war zu Besuch. Nächste Woche wollte ich nach Dresden
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