Cholerabrunnen
ihm schon an der Wiege sagte, ‚Komm, schau mal dahin und nimm Dir den Plan. Damit kannst Du mal einiges anfangen!’ Eher denke ich, der suchte gezielt danach und nun haben wir ihn auf dem Hals.“
Der ursprünglich harte Kern des Cholerabrunnens trifft sich immer noch. Nein, in diesen Tagen nicht am Brunnen, sondern im Stadtmuseum. Natürlich in jener Abteilung, in der es um eben jene Choleraepidemie geht. Dann wandern sie in Ruhe hinüber zum Zweiten Weltkrieg. Noch ist hier nichts an die neuen Gegebenheiten nach der Wende angepasst, wundern sich schon einige Besucher der Stadt und des Museums, wie man jetzt noch mit den alten Parolen Werbung macht. Einige Hinweise am Eingang des Museums weisen darauf hin und bitten um Entschuldigung. Man wolle bis zur erfolgreichen Überarbeitung noch einigen Besuchern die Möglichkeit geben, die alte Gestaltung des Museums und der verschiedenen stadtgeschichtlichen Ausstellungen zu sehen. Dann wird es eine genaue Planung für die Umgestaltung geben und danach besteht sicher für niemanden mehr ein Grund, sich zu wundern.
„Na ja, ich habe mich mal ein wenig schlaugemacht. Soweit das ging. Kam mir auch zu verrückt vor. Sagen Sie, Bauer, diese Leiche… die sah wirklich so schlimm aus, wie Sie mir erzählten?“
Der nickt…
„Noch schlimmer. Ich musste… na ja, ich versuchte, es zurückzuhalten. Schaffte ich auch noch ein paar Meter, doch dann musste ich mich übergeben. Da kam einfach alles aus mir heraus. Zum Glück schaffte ich es noch die Böschung hinunter zum Bach. Alles fortgespült. Na ja, aber trotzdem… so brutal!“
Mauersberger nickt und schaut zu den anderen, die sich eben einen entschärften Blindgänger der amerikanischen Bomben ansehen.
„Ja, so ging die Stadt unter. Und auch Weinert, also der Dicke, der hatte Verluste. Sein Vater wurde erschossen. Kommunist. Sagt man. Nein, vielleicht auch nicht. Damals war man schnell mit solchen Behauptungen und zum Schluss stimmte nicht einmal der Ansatz davon. Was soll’s? Vielleicht wurde er darum… so, wie er ist? Er meinte im Vertrauen, dass sein neuer Vater, also eine Art Ziehvater, diese Unterlagen hatte. Der war wohl bei den Anfängen der neuen Partei in der jungen DDR dabei und hatte eine Art Archiv der Parteileitung unter sich. Dann wurde Weinert in der Parteileitung ein nicht mehr wegzudenkendes Arbeitstier, das aber meist im Hintergrund blieb. Und jedes Jahr um den 13. Februar sollte man etwas Neues gegen den bösen Kapitalismus und natürlich gegen Kriege bringen. Er durchforstete das Archiv des Ziehvaters und stieß irgendwann auf eben diesen Plan, auch noch eine Beschreibung und eine Akte…“
Behringer schaut sich die Unterlagen wieder und wieder an. Wenn nichts Neues hinzukommt, wird er diesen Fall wohl nie abschließen können. Es sei denn, Kommissar Zufall steigt ein und bringt ihm doch noch eine Wendung.
Er findet nichts Gravierendes. Trotzdem… kann der Mord an Marcus Wagner mit der Vergangenheit, der angeblichen Verwandtschaft mit Mutschmann zu tun haben? Frau Wagner wollte ihm darüber nichts sagen. Weder damals, als er sie vor Ort befragte, noch, als er sie jetzt noch einmal diesbezüglich anrief. Nun griff er zum einzig sinnvoll erscheinenden Mittel in diesem Fall. Sein Chef schnaufte, weil natürlich der Freistaat die Kosten für die Verbringung zu tragen hat, aber er setzte sich durch. Es geht um die Abwendung weiterer Straftaten und natürlich vornehmlich die Klärung der bereits begangenen.
Die komplette mit Marcus Wagner blutsverwandte Familie wurde nach Dresden bestellt. Sie können schimpfen, wie immer sie wollen. Er besorgte ihnen keine einfachen und billigen Unterkünfte, sondern gute Zimmer im Hotel ‚Dresdner Hof’, also direkt gegenüber der nun bald für den Wiederaufbau zu rüstenden Ruine der Frauenkirche, und er wird sie auch nicht über Gebühr beschäftigen, sondern dafür sorgen, dass ein geschichtlich bewanderter Kollege mit ihnen einen kleinen Ausflug durch die Stadt in ihrer heutigen Form macht, damit sie sich vielleicht einen kleinen Überblick über den Ort schaffen können, an dem angeblich ihr Vorfahre lebte und… eine unrühmliche Rolle spielte.
Heute kamen sie schon an. Man meldete es ihm aus dem Hotel. Natürlich ist er für ihre Sicherheit zuständig. Mit Unterstützung einer Schar von wirklichen Sicherheitsleuten, die er zu koordinieren hat. Sabine Wagner meinte wohl trocken, dass sie bei allem Ärger, den solch ein behördlich erzwungener
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