Cholerabrunnen
Sein Blut? Oh weh… und sein Herz wummert. Er ist alt. Zu alt für solch eine Rennerei. Wer aber…?
Er schaut hinter sich. Da ist… ist eine Mauer. Wo kommt die her? Das ist doch die Weißeritzstraße, oder? Sollte er sich dermaßen täuschen? Und dort… da steht die Yenidze und gleich vorn an der Ampelkreuzung geht es in die Magdeburger. Er sollte sich beeilen. Dort gibt es Buschwerk, da kann er sich in den alten Fabrikbahnanlagen verbergen. Ob es etwas bringt? Sie finden ihn sicher auch da. Er will nicht aufgeben. Dann fragt er sich, ob sie ihn überhaupt suchen. Ihn? Warum? Wer sollte auf einen bisher unbescholtenen Druckereibesitzer kommen? So schnell sind die nicht. Der Dicke… ja, der Dicke ist tot. Und Bauer auch. Soll er der Nächste sein?
Bauer sollte sterben. Der Dicke aber… der war ihnen ein Dorn im Auge. Jedoch traute sich nie jemand an ihn heran.
Er hetzt weiter. Schnell nur! Dann fällt es ihm ein. Die Flutschutzwand. Eben noch dachte er an diesen Bau der Stadtentwässerung, und als er sie dann aus der Straße hochgefahren stehen sah, kam er nicht mehr darauf? Darf man solch ein Ding einfach hochfahren, ohne… dass jemand kontrolliert, wer sich gerade dort befindet? Darum der Polizist, der ihn aufhalten wollte?
Er biegt in die Magdeburger ein. Schnell, nur schnell hinein und gut. Da ist… oh, sie bauten auch noch einen Maschendrahtzaun vor die alten und zugewachsenen Gleise? Er flucht. Drüberklettern? Dann schaut er die Straße nach vorn. Kein Auto. Weiter vorn flimmert etwas. Sonne scheint keine. Wer weiß… vielleicht ein paar Pfützen? Der viele Regen… nichts kann mehr abfließen. Und da ist der Zaun zu Ende. Gleich neben der Eishalle. Gut, wenn er dorthin kommt, da hinter das Plakat, kann er sich verstecken.
Er rennt, springt in den Graben neben der sonst viel befahrenen, nun aber völlig leeren und vereinsamt wirkenden Straße. Wiese, Buschwerk… Dornen. Er flucht schon wieder, schaut an seinem Designermantel nach unten. Gutes, teures Stück. Wie er jetzt gerade darauf kommt? Er schüttelt sich und kriecht tiefer ins Buschwerk, am Mantel zerrend, um ihn aus den Dornen zu bekommen. Hmm…
Ruhe. Dann hört er einen Motor. Er duckt sich, traut sich nicht, nach vorn zu schauen. Seine Augen könnten ihn verraten, und wenn er sich ganz dicht an den Boden drückt, wird ihn niemand sehen. Er zwar auch nichts, aber gut. Egal.
Vorbei. Da waren Stimmen. Klang wie Radio… irgendwer sprach blechern. Die Qualität der Geräte wird angeblich immer besser, aber irgendwie nicht wirklich gut. Zumindest klang es eben so. Dann legt er sich auf den Rücken, schaut durch die Blätter und Baumwipfel gen Himmel, der sich in graue Wolken hüllt, aus denen es wieder und wieder regnet. Gerade noch schien es nachzulassen. Nun prasseln die Tropfen in Strängen wie aus Eimern gegossen auf das Laubdach, welches kaum etwas entgegenzusetzen hat. Er trieft schon, bleibt aber liegen, spürt nicht, wie sich der Graben unter ihm nach und nach mit eben jenem Wasser füllt, sich gar mit dem der Straße vereinigt. Erst, als seine Hand im Wasser platscht, als er sinnierend auf den Boden schlagen will, fährt er auf, schüttelt sich und sieht die Tropfen um sich herumfliegen.
So ein Mist… nun lag er fast in einem Fluss. Er schaut rundherum, lauscht, kann nichts als Wind und Regen vernehmen und kämpft sich auf einem etwas leichter zu gehenden Weg zurück zur Straße. Dort fließt schon alles um ihn herum, immer auf die Yenidze, die alte Zigarettenfabrik zu, in der es nun viele noble, wenn auch kleine Büroräume gibt, in dessen Kuppelrestaurant er immer gern aß und dahin bereits manchen Geschäftspartner einlud.
Er schluckt. Alles wird zum See. Er muss hier weg, versteht nur zu gut, warum links neben ihm die Wand nach oben ragt, vorhin gar eine ganze Straße abgeschottet wurde. Dresden bereitet sich auf die zweite Jahrhundertflut nach nur elf Jahren vor. Und er steht da, wo kein Flutschutz mehr greift. Wohin kann er gehen?
„War da was?“
Bernhardt schaut zu Tim, der den Wagen auch auf diesem recht glitschigen Untergrund sicher fährt, sich jedoch voll und ganz auf das Wasser und jede davon angezeigte Unebenheit konzentrieren muss.
„Keine Ahnung. Ich schaue auf die Straße, Du in die Runde.“
Bernhardt brummt etwas und ist wieder still. Dann denkt er an die Durchsage des Kollegen. Irgendwer kletterte über die eben nach oben fahrende Mauer. Sie müssten ihn sehen. Wo soll er denn sein? Wer sollte
Weitere Kostenlose Bücher