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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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zusammenhängend, akkurat, kindlich. Kasdan musste an den Mal- und Bastelunterricht in der Grundschule denken.
    Volokine untersuchte noch immer den Körper.
    Er tastete den Torso ab und steckte seine Finger in die klaffenden Wunden.
    Plötzlich kippte er nach hinten um und landete auf dem Hintern.
    Kasdan brachte seine Waffe in Anschlag, ohne zu wissen, was los war.
    Es dauerte einige Sekunden, bis er begriff, was vor sich ging.
    Das Läuten eines Telefons.
    Auf der Leiche.
    Volokine blickte auf die Hände Kasdans: Er hatte keine Handschuhe angezogen. Der Russe biss sich auf die Lippen, richtete sich wieder auf und tastete die Taschen des Toten ab.
    Er fand den Apparat.
    Er klappte ihn auf und lauschte.
    Er hielt das Handy in Richtung von Kasdan.
    Der Armenier hörte hin: Gelächter.
    Das Glucksen von Kindern, unterbrochen von dem Geräusch von Stöcken.
    Die Verbindung brach ab.
    Die beiden Partner verharrten reglos.
    Da hörten sie, ganz nahe, ein leichtes Klopfen.
    Ganz leise, verstohlen, flüchtig.
    Die Kinder waren da.
    Sie warteten draußen auf sie.

KAPITEL 56
    Der Platz war menschenleer.
    Zweihundert Meter lang. Auf drei Seiten von vielgeschossigen Gebäuden eingerahmt. Dahinter ein hoher Schornstein, aus dem eine mächtige Rauchfahne aufstieg. Darüber erstreckte sich der Himmel. Die Bläue hatte in dieser Nacht alle Wolken ausgelöscht und zeigte sich in einer regungslosen, kalten und glatten Reinheit. Ein grenzenloses Leuchten, das in der Klarheit dieser Mondnacht die Intensität eines Bildes von Yves Klein hatte.
    Volokine machte ein paar Schritte, mit beiden Händen seine Glock umfassend. Die Kinder waren nicht da. Er betrachtete Kasdan, der seine Waffe ebenfalls auf das große Nichts gerichtet hatte.
    Sie sagten kein Wort – doch sie verstanden einander.
    Alle Polizisten lebten für solche Momente.
    Und sie hatten seit fünf Tagen nur für diese Minute gelebt.
    Langsam schritten sie über den Hof.
    Die Arme schräg haltend, die Pistole auf den Boden gerichtet.
    Die hohen Mietskasernen waren vollkommen dunkel. Kein einziges beleuchtetes Fenster. Völlige Stille bis auf das dumpfe Hämmern einer Fabrik in weiter Ferne. Das Schlagen eines riesigen Herzens, verschlossen in einem Körper aus Eisen und Beton.
    Sie bewegten sich noch immer, ohne Deckung.
    Ihre Silhouetten zeichneten sich auf dem großen freien Platz mit der Präzision eines Skalpells ab. Ihr Schatten klebte an ihren Schritten.
    Sie lauschten. Das Hämmern hatte aufgehört.
    Dann, plötzlich, Gelächter.
    Die beiden Polizisten richteten ihre Pistolen in die Richtung, aus der das Lachen gekommen war.
    Dann ein weiteres Lachen, von einer anderen Stelle.
    Noch ein Lachen von woandersher.
    Unterdrücktes Glucksen.
    Hastige Schritte, verteilt auf die vier Ecken des Platzes.
    Kasdan und Volokine gingen langsam voran und drehten noch langsamer ihre Oberkörper, wobei sie mit ihren Waffen Bögen in Richtung der sie umgebenden Mauern beschrieben.
    Abermals Gelächter.
    Eine ganze Salve.
    »Sie spielen«, murmelte Volokine, »sie spielen mit uns.«
    Sie schwärmten aus und entfernten sich voneinander; jeder von ihnen strebte zu einem Gebäude auf der linken beziehungsweise der rechten Seite. Kaum dass das Hohngelächter ertönte, verklang es auch schon wieder. Unter den Hauseingängen, den Treppen, den Ligusterhecken. Man konnte sie unmöglich genau lokalisieren.
    Plötzlich funkelte es silbern am Fuß des Gebäudes, das eine Seite des Platzes begrenzte.
    Volokine kniff die Augen zusammen. Das Funkeln verschwand. War das die Verchromung einer Waffe gewesen? Da blitzte das Licht erneut auf, dieses Mal zehn Meter weiter rechts. Dann wieder, jetzt ganz links, etwa dreißig Meter von ihnen entfernt.
    Der Russe warf Kasdan einen fragenden Blick zu. Doch der Armenier schien auch nicht mehr zu begreifen als er. Was bedeutete dieses Funkeln? Volokine dachte an ein in Licht übersetztes Pfeifen. Diese Blitze hatten die Schärfe einer elektroakustischen Rückkopplung.
    Ein weiterer Blitz.
    Noch ein Funkeln.
    Es war, als würde man vor ihnen Spiegel bewegen, die das Mondlicht einfingen und es in einer schneidenden, verschärften Form reflektierten. Ja, Klingen aus Mondlicht blendeten sie. Stechend wie Quecksilberspritzer.
    Volokine begriff.
    Die Kinder waren da, am Fuß der Nacht.
    Eingehüllt in schwarze Mäntel, waren ihre Körper unsichtbar, doch sie trugen Masken. Masken aus Metall. Außerdem hatte jedes von ihnen einen entrindeten Stock aus hellem Holz.

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