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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Geruch von Blut.
    Blut in riesigen Mengen.
    Blut, das wie Wein auf dem Boden eines Bottichs vor sich hingärte.
    Volokine zog einen Ärmel über seine Hand und tastete nach dem Schalter.
    Die Lampe leuchtete auf und enthüllte augenblicklich das ganze Grauen.
    Die Werkstatt von Régis Mazoyer war in ein Schlachthaus verwandelt worden.
    Überall Blut. An den Wänden, auf dem Boden, in Pfützen geronnen. Auf dem Rand der Werkbank in dicken Krusten. In der Reparaturgrube in schwarzen Spuren. Auf den mechanischen Werkzeugen und den Reifen in getrockneten Spritzern.
    Und überall Fußabdrücke.
    Über den Daumen gepeilt Schuhgröße 36.
    Kasdan dachte: Ein neuer Modus Operandi. Die Kinder hatten den Kfz-Mechaniker gefoltert und verstümmelt, ehe sie ihn umbrachten. Dann schoss ihm eine andere Idee durch Kopf. Vielleicht waren sie wie üblich vorgegangen und hatten zunächst die Trommelfelle zerstört, doch das Opfer hatte diese Verletzungen überlebt. Sein Herz hatte weitergeschlagen. Das Blut war durch den Körper gepumpt worden und war in alle Richtungen herausgespritzt.
    Im hinteren Teil des Raums, zwischen einem Wagenheber und einem Stapel Reifen, saß der verstümmelte Leichnam auf dem Boden, mit dem Rücken an der Wand, das Gesicht nach vorn geneigt. Praktisch in der gleichen Position wie Naseer. Nur dass der ehemalige Tänzer die Arme vor seinem Bauch verschränkt hatte. Kasdan trat näher heran. Das Opfer kauerte in einer noch frischen schwarzen Lache. Der Mord war vor höchstens zehn Minuten passiert …
    Während sich Kasdan jedes Detail einprägte, wurde er von albtraumhaften Visionen heimgesucht. Durchgeschnittene Arterien, die ihren Saft ausspien. Muskeln, die in den Krämpfen der Agonie zuckten. Ein geschwächter Körper, aus dem wie rasend alles Blut entwich. Die letzten Zuckungen eines Menschenopfers.
    Kasdan spürte plötzlich, dass er einen entscheidenden Punkt berührte.
    Ein Opfer.
    Für Gott vergossenes Blut.
    Volokine hatte bereits Handschuhe übergestreift. Ein Knie auf dem Boden, sich am Rand der Lache haltend, drehte er den Kopf des Opfers. Schwarze Blutfäden waren aus seinem linken Ohr gelaufen. Er überprüfte die andere Seite. Identische Spuren. Bestätigung. Der Mann war durch Einstiche in die Trommelfelle getötet worden. Aber die Technik hatte nicht funktioniert. Mazoyer hatte überlebt.
    Aber das hatte die Mörder nicht aufgehalten.
    Sie waren weiter über ihr sterbendes Opfer hergefallen.
    Volokine hob Régis’ Gesicht an. Sein Mund war von einem Ohr bis zum anderen aufgeschlitzt, eine dunkle Wunde, die die weißlichen Zähne inmitten des zerschnittenen Gewebes enthüllten. Wieder dieses grauenhaft komische Lächeln mit weit aufgerissenem Mund, das wie bei Naseer und Olivier an den höhnischen Gesichtsausdruck eines entstellten dummen August erinnerte.
    Aber diesmal war die gesamte Oberfläche des Gesichts mit einem Messer angegriffen worden, sodass das Gesicht einem bestellten Acker glich. Beharkt, durchpflügt. Insbesondere ein Stich hatte die linke Seite entstellt: Das Auge war eingedrückt und das Lid geschwollen wie bei einem Boxer. Das andere Augen war weiß und weit aufgerissen und schien gleich herauszufallen.
    Kasdan erkannte jetzt, was Volokine interessierte. Der Kfz-Mechaniker trug einen blutgetränkten blauen Monteuranzug. Der Reißverschluss war bis auf die Brust heruntergezogen. Die beiden Arme, die auf seinem Bauch verschränkt waren, tauchten in eine glitsche dunkle Masse ein, die im Begriff war, zu gerinnen. Langsam griff der Russe nach einem der Ärmel und zog daran. Der Tote schien einen Gegenstand an sich zu drücken.
    Volo musste keine Gewalt anwenden. Die Leichenstarre war noch nicht eingetreten. Es war das Herz des Mannes. Dunkel. Leuchtend. Als Volo genauer hinsah, erkannte er, dass nicht nur der Anzug offen stand, sondern auch der Brustkorb. Genauer gesagt, der Reißverschluss war so weit aufgezogen, wie die Brustkorb aufgerissen worden war.
    Volokine sprach kein Wort. Er wirkte eiskalt. Auch Kasdan reagierte nicht. Er hatte eine Schwelle überschritten, an der es kein Zurück mehr gab – und alles, was sie jetzt entdeckten, schien nichts mit der Wirklichkeit zu tun zu haben.
    Mit der Welt, wie sie sie kannten.
    Im Grunde waren weder er noch der Russe überrascht.
    Die Erklärung war über dem Opfer in Buchstaben aus Blut aufgemalt.
    Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen, beständigen Geist.
    Immer die gleiche Handschrift,

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