Choral des Todes
Hammam Des Grands Boulevards.«
»Wir werden das überprüfen.«
Kasdan hatte das mechanisch gesagt. Er würde nichts überprüfen, aus dem einfachen Grund, weil er das Jüngelchen nicht verdächtigte. Nicht eine Sekunde lang verdächtigt hatte.
»Wie war euer Leben zu zweit?«
Naseer zuckte mit der Schulter und wackelte mit den Hüften.
»Wir trafen uns heimlich. Willy wollte nicht, dass es herauskam. Ich durfte nur in den Nachtstunden zu ihm kommen. Er hatte vor allem Angst. Ich glaube, dass die jahrelange Folter ihn traumatisiert hatte.«
»Hatte er noch andere Liebhaber?«
»Nein, Willy war zu scheu. Zu … rein. Er war mein Freund. Mein echter Freund, auch wenn unsere Beziehung schwierig war. Er wollte nicht, dass ich nebenher … Er war mit sich selbst nicht im Reinen. Er akzeptierte seine Neigungen nicht … Sein Glaube ließ es nicht zu, verstehen Sie?«
»Mehr oder weniger. Keine Frauen?«
Naseer gluckste. Kasdan fuhr fort:
»Glaubst du, dass er, abgesehen von seiner politischen Vergangenheit, irgendwelche Feinde hatte?«
»Nein, er war sanftmütig, ruhig und großzügig. Er hätte keiner Fliege etwas zuleide getan. Er hatte nur eine Passion: seine Chöre. Er konnte gut mit Kindern umgehen. Er wollte eine Klasse für Sänger gründen, die im Stimmbruch sind und weiterhin singen wollen. Wenn Sie ihn gekannt hätten, er …«
»Ich habe ihn gekannt.«
Naseer sah ihn ungläubig an.
»Woher …?«
»Vergiss es. Als du vorhin auf der Flucht warst, bist du geradewegs zum Wasserspeicher gelaufen. Kennst du dich hier aus?«
»Ja, ich bin mit Wilhelm oft hierhergekommen. Weil wir hier ungestört waren und außerdem …« Er gluckste abermals. »… wegen des Nervenkitzels …«
Kasdan konnte sich das lebhaft vorstellen. Die beiden Männer, die einander über der grünlichen Wasserfläche vernaschten. Er wusste nicht, ob er sich übergeben oder schallend lachen sollte.
»Gib mir dein Handy!«
Naseer kam der Aufforderung nach. Mit einem Finger tippte Kasdan seine Telefonnummer ein. Er nannte sich »Bulle«.
»Meine Nummer. Falls dir noch etwas einfallen sollte, ruf mich an. Ich heiße Kasdan. Leicht zu merken, oder? Hast du eine Bude?«
»Ja, eine Dachkammer.«
»Deine Adresse?«
»Boulevard Malesherbes 137.«
Kasdan schrieb die Adresse auf und speicherte dann die Nummer von Naseers Handy. Zum Abschied packte er den Rucksack des Jungen, drehte ihn um und leerte den Inhalt auf den schlammigen Boden. Eine Zahnbürste, zwei Bücher, Hemden, Pullunder, unechter Schmuck, einige Fotos von Götz – Gegenstände, in denen sich das triste, ärmliche Leben des jungen Schwulen widerspiegelte.
Der Armenier empfand Mitleid, aber selbst dieses Mitleid ekelte ihn an. Unwillkürlich bückte er sich, um dem Jungen zu helfen, seine Sachen aufzuklauben.
In diesem Moment fasste Naseer zärtlich nach seiner Hand:
»Beschützen Sie mich. Sonst bringen sie mich vielleicht auch noch um. Ich werde tun, was Sie wollen …«
Kasdan zog hastig seine Hand zurück:
»Verzieh dich!«
»Und meine Papiere?«
»Die behalte ich.«
»Wann bekomme ich sie wieder?«
»Wenn es mir passt. Verschwinde!«
Der Inder rührte sich nicht und sah ihn flehend an. Kasdan schrie:
»Hau ab, bevor mir der Kragen platzt!«
KAPITEL 8
Schwimmender Fußboden.
Das war das passende Wort. Der Boden der Wohnung gab unter seinen Schritten nach und vermittelte ihm das Gefühl, zu schwanken. Wie das Deck eines Schiffs, das dicht über den Wipfeln der Bäume des Parks fuhr, den man durch die noch offene Fenstertür sah.
Kasdan schloss sie, zog die Vorhänge zu und tastete neben dem Fensterflügel nach einem Schalter. Er ahnte, dass das Rollo per Knopfdruck geöffnet und geschlossen wurde. Schließlich fand er den Knopf und drückte darauf. Das Rollo senkte sich langsam und schottete das Zimmer gegen die Außenwelt und das helle Licht der Straßenlaternen ab.
Als es völlig dunkel war, schloss Kasdan die beiden Zimmertüren und zog dann sein Searchlight heraus, um den Lichtschalter zu suchen. Nun konnte ihn niemand von außen sehen. Ein Kronleuchter erhellte ein ärmliches Wohnzimmer. Ein durchgesessenes Sofa, ein Bücherregal aus Sperrholz, zusammengewürfelte Sessel. Götz hatte nicht viel Geld für Möbel ausgegeben.
Kein Bild an der Wand. Keine Nippes auf den Regalen. Eine Einrichtung ohne persönliche Note. Das Ganze erinnerte eher an ein billig möbliertes Zimmer. Kasdan trat ans Bücherregal: Partituren, Biographien von Komponisten,
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