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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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diese Informationen zu gelangen, würde Vernoux mindestens zwei Tage brauchen.
    Er steckte die Liste ein und wandte sich wieder dem kleinen Inder zu:
    »Das scheint dich nicht sonderlich zu erschüttern.«
    »Erschüttert bin ich schon, aber nicht überrascht. Willy war in Gefahr. Er hatte mir gesagt, dass ihm etwas zustoßen könnte …«
    Kasdan beugte sich interessiert zu ihm herab.
    »Hat er dir gesagt, wieso?«
    »Weil er etwas gesehen hat.«
    »Was hat er gesehen?«
    »In Chile, in den siebziger Jahren.«
    Da war sie wieder, die politische Spur.
    »Okay«, sagte Kasdan, »jetzt mal ganz langsam. Du erzählst mir ganz genau, was Götz dir darüber gesagt hat.«
    »Er hat nie darüber gesprochen. Ich weiß nur, dass Willy 1973 ins Gefängnis kam. Er wurde verhört und gefoltert. Er hat Entsetzliches durchgemacht. Angesichts der neuen Umstände hatte er beschlossen, auszusagen.«
    »Was für Umstände?«
    Erneut trat ein Lächeln auf Naseers Gesicht. Aber diesmal wirkte es leicht verächtlich. Kasdan vergrub die Fäuste in den Taschen, um ihn nicht zu schlagen.
    »Wissen Sie denn nicht, dass die Folterknechte von damals heute gerichtlich verfolgt werden? In Chile? In Spanien? In Großbritannien? In Frankreich?«
    »Ich habe davon gehört, doch.«
    »Willy wollte gegen diese Dreckskerle aussagen. Aber er hatte das Gefühl, dass man ihn überwacht …«
    »Hat er sich an einen Richter gewandt?«
    »Willy hat nicht darüber gesprochen. Er sagte, je weniger ich davon wüsste, desto besser für mich.«
    Die Geschichte kam Kasdan abenteuerlich vor. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sich der Organist wegen dieser 35 Jahre zurückliegenden Geschichten derart bedroht fühlte. Und wegen Prozessen, die platzten, weil die Beschuldigten vor dem Ende des Verfahrens eines natürlichen Todes starben. Auch Augusto Pinochet hatte vor wenigen Tagen das Zeitliche gesegnet.
    »Hat er Namen genannt?«
    »Ich sage Ihnen noch einmal, dass er nichts gesagt hat! Aber er hatte Angst.«
    »Diese Leute wussten also, dass er reden wollte?«
    »Ja.«
    »Und du hast keine Ahnung, was er enthüllen wollte?«
    »Ich weiß nur, dass es um die Operation Condor ging.«
    »Die was?«
    »Sie haben ja keine Ahnung!«
    Kasdan hob die Hand. Der Inder zog den Kopf zwischen die Schultern. Im Vergleich zu dem Armenier wirkte er geradezu winzig.
    »Sie kennen wohl nur die Sprache der Gewalt«, brummte Naseer trotzig. »Willy kämpfte gegen Leute wie Sie.«
    »Was ist die Operation Condor?«
    Der Mauritier holte Luft:
    »Mitte der siebziger Jahre beschlossen die lateinamerikanischen Diktaturen, sich zusammenzutun, um die Opposition in ihren Ländern auszuschalten. Brasilien, Chile, Argentinien, Bolivien, Paraguay und Uruguay haben eine Art internationale Miliz geschaffen, die die Linksextremen in ihrem Exil verfolgen sollte. Sie waren entschlossen, sie überall in Lateinamerika, aber auch in den Vereinigten Staaten und in Europa aufzuspüren. Die Operation Condor sah vor, sie zu entführen, zu foltern und anschließend umzubringen.«
    Kasdan war das völlig neu. Wie um ihn noch tiefer zu demütigen, fügte Naseer hinzu:
    »Jeder kennt diese Geschichte.«
    »Wieso besaß Götz Informationen über diese Operation?«
    »Vielleicht hatte er etwas gehört, als er im Gefängnis saß. Oder vielleicht konnte er die Männer, die ihn gefoltert hatten, auch einfach wiedererkennen. Die Typen, die bei dieser Operation mitgemacht hatten. Ich weiß es nicht …«
    »Wann wollte er seine Aussage machen?«
    »Ich weiß es nicht, aber er hatte sich einen Anwalt genommen.«
    »Weiß du, wie er heißt?«
    »Nein.«
    Kasdan dachte daran, dass man die Auflistung seiner Telefonate durchgehen musste – es sei denn, der alte Homo hätte sich vorgesehen und von einer Telefonzelle aus angerufen. Er stellte sich Götz’ Leben vor, das von Verfolgungsängsten geprägt war; er musste allem und jedem misstrauen. Gleichzeitig erinnerte er sich daran, dass seine Wohnungstür nicht verschlossen gewesen war. Er begriff mit einer gewissen Verzögerung, dass der kleine Inder die Tür aufgeschlossen hatte.
    »Hattest du die Schlüssel zu Götz’ Wohnung?«
    »Ja, Willy vertraute mir.«
    »Weshalb hast du deine Sachen geholt?«
    »Ich will da nicht hineingezogen werden. Bei der Polizei hat man immer unrecht. Ich bin Ausländer. Ich bin schwul. Für euch bin ich doppelt im Unrecht.«
    »Das hast du gesagt. Wo warst du heute um 16.00 Uhr?«
    »Verdächtigen Sie mich?«
    »Wo warst du?«
    »Im

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