Choral des Todes
Verfassungsschutz oder beim militärischen Auslandsnachrichtendienst anrufen.«
Longho hatte recht. Vermutlich hatte der Auslandsnachrichtendienst seine Finger im Spiel. Eine schlechte Nachricht. Während seines Berufslebens waren ihm diese Leute häufig über den Weg gelaufen. Immer herrschte eine Atmosphäre der Rivalität, ja Feindseligkeit. Von dieser Seite würde er nichts erfahren.
Er wählte eine neue Nummer. Ein alter Kumpel, der in eine neue Abteilung eingetreten war, die Nationale Dienststelle für die Fahndung nach flüchtigen Straftätern. Der Mann, früher beim Rauschgiftdezernat tätig, hieß Laugier-Rustain. Alle nannten ihn Rustine.
Kasdan erwischte ihn auf seinem Handy. Der Polizist erkannte seine Stimme sofort und lachte schallend:
»Wie läuft’s beim Angeln?«
»Genau deshalb ruf ich dich an – wegen eines großen Fischs.«
»Sag bloß nicht, dass du noch immer den Schnüffler spielst.«
»Nur eine Auskunft. Deine neue Abteilung arbeitet in beide Richtungen?«
»Was meinst du mit ›beide Richtungen‹?«
»Ihr sucht Franzosen, die sich ins Ausland abgesetzt haben, aber auch Ausländer, die sich in Frankreich verstecken?«
»Ja, wir haben Vereinbarungen mit den anderen europäischen Polizeibehörden.«
»Hast du Kriegsverbrecher in deiner Sammlung?«
»Wir sind eher für Schwerverbrecher, Serienmörder und Pädophile zuständig.«
»Könntest du mal nachsehen?«
»Was genau suchst du?«
»Chilenen. Ehemalige Mitglieder des Pinochet-Regimes. Typen, die mit internationalem Haftbefehl gesucht werden und sich vermutlich in Frankreich versteckt halten.«
»Chile ist ein bisschen weit weg von Schengen. Ich weiß nicht einmal, ob wir Rechtshilfeabkommen mit diesem Land haben.«
»Vielleicht werden sie nicht von der chilenischen Justiz gesucht. Der Haftbefehl kann in anderen Ländern ausgestellt worden sein, in Spanien, Großbritannien, Frankreich … Die Klagen wurden in den Herkunftsländern der Geschädigten eingereicht. Viele der Opfer in Chile stammten aus Europa.«
»Danke für die Nachhilfe, mein Lieber, aber, ehrlich gesagt, ist das noch schwieriger. Weil deine Typen Chilenen bleiben und weil wir nur dann nach ihnen fahnden können, wenn wir ein Abkommen mit ihrem Heimatland haben, nicht mit dem der Kläger, kapiert?«
»Aber du kannst es doch überprüfen?«
»Hast du Namen?«
»Nein.«
»Personenbeschreibungen?«
»Fehlanzeige!«
»Glaubst du, ich hab nichts anderes zu tun, als Phantomen nachzujagen?«
»Gestern wurde ein Chilene umgebracht. Ein politischer Flüchtling. Offenbar wollte er gegen diejenigen aussagen, die ihn gefoltert haben. Ich bitte dich nur darum, nachzusehen, ob einer oder mehrere dieser Mistkerle auf deinen Listen stehen.«
»Seltsam, dass du von Chile sprichst …«
»Wieso?«
»Ein Kollege hat vor knapp einer Stunde eine Anfrage in Bezug auf dieses Land erhalten. Bleib dran.«
Kasdan übte sich in Geduld. Dann kam Rustine wieder an den Apparat:
»Éric Vernoux, erste Kripo-Direktion. Kennst du ihn?«
»Das ist mein Rivale. Der Polizist, der offiziell für diese Sache zuständig ist. Rufst du mich sofort an?«
»Ich spreche mit meinen Kollegen. Wir werden die Informationen im Lauf des Tages auftreiben.«
»Könnte ich sie vor Vernoux erfahren?«
»Treib’s nicht zu weit, Kasdan.«
Er legte auf. Der Name des Polizisten von der Kripo bedeutete zweierlei. Zum einen hatte Vernoux den Fall behalten. Zum anderen hielt der Polizist mit der Bomberjacke weiterhin an seiner Hypothese fest – der politischen Spur.
Der Armenier stand auf und zog seine Drillichjacke an.
Es war an der Zeit, dass er seinen Bildungshorizont erweiterte, bevor er die Kirchen abklapperte.
KAPITEL 11
Die Akte Pinochet.
Das Gold der Diktaturen.
Die unauffindbare autoritäre Demokratie.
Pinochet und die spanische Justiz.
20 Jahre Straffreiheit.
Geheimoperation Condor …
Chile und die politischen Umwälzungen in diesem Land füllten in der Buchhandlung drei Regale, Pinochet und seine Diktatur allein zwei davon. Kasdan wählte die interessantesten Bücher aus, stieg von der Leiter und ging zur Treppe, die ins Erdgeschoss hinaufführte.
Er befand sich im Untergeschoss seiner Lieblingsbuchhandlung Harmattan in der Rue des Écoles 16. Eine Buchhandlung, die vor allem auf Afrika spezialisiert war und tatsächlich nur aus Büchern zu bestehen schien, so flächendeckend waren die Wände von Regalen überzogen. Die Bücherwände ragten so hoch, dass jeder Kunde eine
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