Choral des Todes
Kaffeebecher mit in sein Arbeitszimmer, setzte sich an den Schreibtisch und schlug das Dokument auf, das er als Erstes unter die Lupe nehmen wollte: den Stundenplan, den Götz für seinen kleinen Gespielen angefertigt hatte. Er setzte seine Brille auf und las die Liste durch. Der Organist konnte sich nicht über einen Mangel an Arbeit beklagen. Außer für die armenische Kathedrale war er noch für drei weitere Kirchen in Paris tätig gewesen: Notre-Dame-du-Rosaire in der Rue Raymond-Losserand im 14. Arrondissement; Notre-Dame-de-Lorette, Rue Fléchier im 9. Arrondissement, und die Kirche Saint-Thomas-d’Aquin, Place Saint-Thomas-d’Aquin, im 7. Arrondissement. Kasdan markierte alle Telefonnummern und Adressen mit seinem Stabilo-Filzstift. Zweifellos um seinen Geliebten zu beruhigen, hatte Götz die Namen der Küster und der Geistlichen aufgeschrieben, mit denen der Junge »im Notfall« Kontakt aufnehmen konnte. Kasdan musste nur noch zum Telefon greifen und an den Türen läuten.
Außerdem hatte der Musiker in ganz Paris Klavierstunden gegeben. Kasdan schnitt eine Grimasse. Er würde sich jede Familie vorknöpfen müssen. Nein. Er würde sich mit einem einfachen Anruf begnügen. Aber man konnte nichts ausschließen. Nicht einmal ein anstößiges Verhältnis zu einem Schüler, ein Verbrechen aus Leidenschaft oder einen Racheakt entsetzter Eltern.
Er faltete seine Liste wieder zusammen und steckte sie in seine Tasche. Bevor er die Adressen abklapperte, musste er einige Anrufe erledigen.
Er begann mit Puyferrat von der Spurensicherung.
»Nichts Neues über unseren Organisten?«
»Nein. Die Fingerabdrücke auf dem Balkon stammen alle vom Opfer. Sonst haben wir nichts gefunden. Die einzige Neuigkeit habe ich dir gestern gesteckt: der Abdruck eines Converse-Schuhs.« Er hielt inne und blätterte raschelnd seinen Bericht durch. »Ach ja … da ist noch ein Detail. Wir haben auf der Empore Holzsplitter gefunden.«
»Woher stammen die?«
»Das lässt sich noch nicht sagen. Ich habe sie zur weiteren Untersuchung nach Lyon ins Labor geschickt. Meiner Meinung nach handelt sich um Splitter von der Orgel. Götz hat sich in dem Handgemenge irgendwo festgeklammert.«
Kasdan vergegenwärtigte sich den Tatort. Das Orgelgehäuse, das Manuale. Puyferrat irrte sich. Die Oberflächen waren aus Nickel. Keine Spur von Kratzern, die von Nägeln stammen könnten. Die Holzsplitter mussten woanders herkommen.
»Hast du deinen Bericht abgegeben?«
»Geht jetzt raus.«
»Per E-Mail?«
»Per E-Mail und per Post.«
Sein Vorsprung gegenüber Vernoux wäre damit dahin. Der junge Polizist würde alle Jungen vorladen, die Converse-Schuhe trugen. Ob er mehr herausbekommen würde als Kasdan? Nein. Vernoux würde allerdings erfahren, dass der Armenier sein Glück im Alleingang versucht hatte, und ihn am Telefon herunterputzen.
»Rufst du mich an, wenn du die Ergebnisse hast?«
»Kein Problem. Gestern Nacht habe ich einen tollen Witz gehört. Superman sieht Wonderwoman auf dem Dach eines Gebäudes und …«
»Den kenn ich. Ruf mich an.«
Kasdan wählte die Nummer der Einsatzzentrale Technische Unterstützung ( EZTU ). Ein Team von zehn Fachleuten, die für die Verwanzung der Wohnungen von Verdächtigen zuständig waren. Männer, die eher Mitarbeitern einer Kabelfernsehgesellschaft als Mitarbeitern einer Hightech-Abteilung glichen. Die Zentrale befand sich in Chesnay, einer Kleinstadt im Département Yvelines.
Kasdan hatte zufällig einen langjährigen Bekannten an der Strippe: Nicolas Longho.
»Worum geht’s, Alter?«
»Eine Abhörmaßnahme. Wilhelm Götz, Rue Gazan 15-17, 14. Arrondissement.«
»Was willst du wissen?«
»Der Typ ist tot. Ich hab in seiner Wohnung eure Wanzen gefunden, versteckt über den Vorhängen.«
»Das sagt mir nichts.«
»Das ist doch eure Methode. Ein Verstärker, eingepasst in die Achse der Gardinenstange.«
»Weshalb steckst du deine Nase da hinein?«
»Der Mann wurde tot in der Kirche meiner Pfarrei, der armenischen Kathedrale, aufgefunden.«
»Ist er Armenier?«
»Nein, Chilene. Die Wanzen belegen, dass gegen ihn ermittelt wurde. Ich möchte wissen, wieso, und hätte gern den Namen des Richters, der die Überwachung angeordnet hat.«
»Und wer hat dich darauf angesetzt?«
»Ich bin seit fünf Jahren pensioniert.«
»Das habe ich mir schon gedacht.«
»Kannst du’s überprüfen?«
»Ich werde mit den Kollegen darüber sprechen. Aber wenn es eine Chilene ist, würde ich an deiner Stelle beim
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