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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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ist in diesen Zwischenraum eingedrungen. Das erfordert eine extrem dünne Spitze. Vermutlich war diese Nadel mit einem Griff versehen. Alles aus derselben, sehr harten Legierung gegossen, um nicht zu brechen.«
    France Audusson setzte sich wieder hin. Kasdan kam plötzlich ein Gedanke. Eine abenteuerliche Idee:
    »Könnte diese Nadel aus Eis bestanden haben? Das gefrorene Wasser hätte keine Spuren hinterlassen …«
    »Eine so dünne Eisnadel wäre am Knochen zersplittert. Ich spreche von einer Waffe mit einer Spitze von einigen Mikrometern Durchmesser. Gefertigt aus einer unbekannten Legierung. Eine Science-Fiction-Waffe.«
    Sie lächelte, als ihr klar wurde, was sie da gerade gesagt hatte:
    »Verzeihen Sie, ich sehe zu viele Fernsehserien. Ich will nur sagen, dass das Tatwerkzeug das große Rätsel dieses Falls ist.«
    Kasdan blickte wieder auf die Abzüge. Diese verwüsteten Ebenen wirkten wie erstarrte Bilder vom Leiden des Opfers. Wieder beschlich ihn eine Ahnung: Es bestand ein enger Zusammenhang zwischen der Todesursache, dem Leiden und dem Tatmotiv.
    »Ich hatte das Glück, sehr schnell am Tatort zu sein«, erklärte er. »Der Schrei des Opfers hallte noch zwischen den Orgelpfeifen wider. Wilhelm Götz muss einen unglaublichen Schrei ausgestoßen haben. Ricardo Mendez glaubt, dass er vor Schmerzen gestorben ist. Halten Sie das für plausibel?«
    »Absolut. Wir haben eine ganze Reihe von Studien über die Schmerzschwelle des Trommelfells durchgeführt. Das ist eine sehr empfindliche Region. Wir behandeln jedes Jahr Menschen, die ein Barotrauma erlitten haben, also eine Verletzung infolge einer plötzlichen Luftdruckveränderung, etwa bei Tauchgängen oder auf Flügen. Laut allen Aussagen sind die Schmerzen sehr stark. Bei diesem Mord ist der spitze Gegenstand weit über das Trommelfell hinaus vorgedrungen. Der Schmerz muss einen sofortigen Herzstillstand ausgelöst haben.«
    Der Armenier erhob sich behutsam, um nichts herunterzuwerfen, und sagte dann mit seiner dunklen Stimme:
    »Danke, Doktor. Kann ich die Abzüge und den Analysebericht mitnehmen?«
    Die Ärztin erstarrte. Sie warf ihm einen argwöhnischen Blick zu.
    »Ich würde den normalen Dienstweg vorziehen. Das heißt, ich schicke alles ans gerichtsmedizinische Institut. Ihr Dienststelle erhält eine Kopie.«
    »Natürlich«, erwiderte Kasdan. »Ich wollte nur eine Stufe überspringen. Dank Ihrer Hilfe habe ich schon viel Zeit gewonnen.«
    France Audusson nahm eine Visitenkarte und schrieb ihre Telefonnummer darauf:
    »Mein Handy. Das ist alles, was ich Ihnen geben kann.«
    Kasdan griff nach der Kappe und schüttelte sie, sodass die Schellen bimmelten:
    »Danke und fröhliche Weihnachten!«

KAPITEL 13
    Nach dem Abstecher in die Klinik Trousseau besuchte Kasdan die drei Pfarrgemeinden, in denen Götz ebenfalls als Organist und Chorleiter gearbeitet hatte. In Notre-Dame-du-Rosaire im 14. Arrondissement traf er niemanden an, der ihm hätte Auskunft geben können. Der Pfarrer war erkrankt und sein Stellvertreter nicht da. In Notre-Dame-de-Lorette in der Rue Fléchier befragte der Armenier Pater Michel, der ihm Götz so beschrieb, wie er ihn bereits kannte: unauffällig und still. Kasdan fuhr zur Kirche Saint-Thomas-d’Aquin in der Nähe des Boulevard Saint-Germain, wo er abermals Pech hatte: Die Geistlichen waren für zwei Tage verreist.
    Um 15.30 Uhr kehrte Kasdan in seine Wohnung zurück. Er ging in die Küche und bereitete sich ein Sandwich zu. Toastbrot, Schinken, Gouda, Gürkchen – dazu ein lauwarmer Kaffee. Er hatte nicht die geringste Lust, die Familien anzurufen, bei denen Götz Klavierunterricht gab. So wenig, wie er sich in die neuere Geschichte Chiles vertiefen wollte. Der Gedanke an den seltsamen jungen Polizisten weckte hingegen seine Neugier. Er wollte den Konkurrenten taxieren.
    Nachdem er sein Sandwich mit wenigen Bissen hinuntergeschlungen hatte, machte er sich noch einen Kaffee und begab sich in sein Arbeitszimmer. Er wählte die Nummer von Jean-Louis Greschi, einem ehemaligen Kollegen bei der Mordkommission, der ins Jugendschutzdezernat gewechselt war.
    »Wie geht’s?«, fragte der Kommissar, »Beißt du dir noch immer die Zähne aus?«
    »Ja, vor allem an der Brotkrume.«
    »Welchem Unglück verdanke ich deinen Anruf?«
    »Kennst du Cédric Volokine?«
    »Einer meiner besten Mitarbeiter. Wieso?«
    »Der Typ scheint in einem Mordfall zu ermitteln, der meine Kirchengemeinde betrifft. Ein Mord in der armenischen

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