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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Kathedrale.«
    »Unmöglich. Er ist auf unbestimmte Zeit beurlaubt.«
    »Weswegen?«
    Greschi zögerte. Dann senkte er die Stimme:
    »Volokine hat ein Problem.«
    »Was für ein Problem?«
    »Drogen. Heroinabhängig. Er wurde mit einer Spritze auf dem Klo unseres Reviers erwischt. So was sorgt für Unruhe. Man hat ihn auf Entziehungskur geschickt.«
    »Wurde er aus dem Dienst entfernt?«
    »Nein, ich hab das abgebogen. Mit dem Alter werde ich sentimental.«
    »Wo macht er die Entziehungskur?«
    »Im Departement Oise. Das Heim heißt Jeunesse & Ressource . Aber alle nennen es Cold Turkey .«
    »Was heißt das?«
    »Das ist der englische Ausdruck für einen totalen und abrupten Drogenentzug ohne Medikamente oder andere chemische Stoffe. Offenbar setzen sie dort auf Gesprächstherapie und Sport. Altachtundsechziger, die Erben der Antipsychiatrie.«
    Kasdan brütete über den Ausdruck Cold Turkey nach. Er dachte an Opiumpfeifen, Minarette und Nargilehs im eisigen Regen Istanbuls. Dann begriff er, dass er auf dem Holzweg war. Turkey bezeichnete nicht das Land, sondern die Geflügelart. Cold Turkey bedeutete schlicht »kalter Truthahn«, was offensichtlich auf die Entzugssymptome anspielte: kalte Schweißausbrüche und Gänsehaut …
    »Hältst du es für unmöglich, dass er Nachforschungen über diesen Mordfall angestellt hat?«
    »Er wurde vor drei Tagen in die geschlossene Abteilung aufgenommen. Meiner Meinung nach liegt er gerade zähneklappernd auf seiner Pritsche.«
    »Wie alt ist er?«
    »Schätze mal, etwa achtundzwanzig.«
    »Was für eine Ausbildung?«
    »Abschluss in Jura und Philosophie an der Polizeihochschule Cannes-Écluse. Ein heller Kopf, aber auch ein hervorragender Schütze. Außerdem war er französischer Meister in einer asiatischen Kampfsportart, weiß aber nicht mehr, welcher.«
    »Und wie sah seine Laufbahn bei der Polizei aus?«
    »Zuerst zwei Jahre beim Drogendezernat. Ich glaube, dass er dort mit dem Dope in Kontakt gekommen ist.«
    »Und dann hast du ihn in dein Dezernat geholt?«
    »Er hatte nicht Junkie auf der Stirn stehen. Und er wollte wechseln. Jemanden mit so ’ner Ausbildung lehnst du nicht ab. Im Drogendezernat hatte er eine Aufklärungsquote von achtundneunzig Prozent. Der Kerl gehört ins Guinness-Buch der Rekorde.«
    »Sonst noch was?«
    »Musiker. Spielt Klavier, glaub ich.«
    Kasdan fügte die Mosaiksteinchen zusammen. Ein wirklich ungewöhnlicher Polizist.
    »Verheiratet?«
    »Nein, aber ein echter Frauenheld. Alle Mädels sind verrückt nach ihm. Die laufen solchen Typen hinterher – attraktiv, getrieben, ungreifbar. Er zieht die Tussis an wie ein Magnet Eisenfeilspäne.«
    Kasdan hatte also richtig gelegen. Bei jeder Gelegenheit hatte Volokine einem der Mädchen im Führungsstab den Kopf verdreht, wodurch er an die Fälle herankam, die ihn interessierten.
    »Er hat sich beim Jugendschutzdezernat beworben. Weißt du warum?«
    »Das ist der Kampfinstinkt. Ich bin mir sicher, dass er ein persönliches Motiv hat. Volokine ist Waise. Er hat eine ganze Latte von Waisenhäusern, Heimen und kirchlichen Einrichtungen durchlaufen. Da kann man sich gut vorstellen, dass er Opfer von Übergriffen geworden ist. Und dass er dann eine Rechnung mit Kinderschändern offen hat, liegt wohl auf der Hand.«
    »Ein bisschen zu einfach, oder?«
    »Je einfacher, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es stimmt. Das weißt du genauso gut wie ich, Kasdan.«
    Kasdan schwieg. Seine vierzig Jahre bei der Polizei hatten ihn gelehrt, dass die Menschen in der Tat fantasielos waren. Jeden Morgen bewahrheitete sich im Leben eines Polizisten das Gesetz der Klischees.
    »Jedenfalls«, fuhr Greschi fort, »verliert er schon mal die Beherrschung. Vor kurzem hat er einen Pädophilen zusammengeschlagen. Wir haben die Sache unter den Teppich gekehrt und dem Kinderschänder klargemacht, dass wir ihn in eine Zelle mit Mördern stecken, wenn er Anzeige erstattet. Aber ich hab mir den Jungen vorgeknöpft. Wir sind nicht dazu da, Verdächtige zu verdreschen. Auch wenn einem bei uns schnell mal die Hand ausrutschen kann.«
    Kasdan machte sich ein Bild von dem jungen Rebellen: begabt, intelligent, unberechenbar. Weshalb interessierte er sich für den Mord in Saint-Jean-Baptiste? Weil Kinder betroffen waren?
    Greschi sprach weiter:
    »Aber sein großes Talent macht alles wett. Sein Feeling für die Kinder. Das Problem bei unserem Dezernat sind die kleinen Mädchen und Jungs. Meistens sind sie unsere einzigen

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