Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
Vom Netzwerk:
nicht zufällig was Richtiges zu rauchen?«
    Volokine legte ein in Silberpapier gewickeltes zehn Zentimeter langes Stäbchen Shit auf den Tisch. Unter der nackten Glühbirne glänzte es wie ein geheimnisvoller kleiner Edelmetallbarren.
    »Persönlicher Vorrat. Die Info, Mann. Und du rauchst auf meine Gesundheit.«
    Sylvain drückte seine Zigarette unter dem Schreibtisch aus und begann dann:
    »Götz mochte mich. Sagte, ich hätte Talent zum Singen. Manchmal hat er mir sogar sein Herz ausgeschüttet. Einmal waren wir in der Sakristei. Er hat die Tür zweimal abgeschlossen. Hab mir gesagt: eins von beiden, entweder einen Schlag in die Fresse oder ’nen Tritt in den Arsch. Aber er wollte nur quatschen.«
    »Was hat er dir erzählt?«
    »Den üblichen Stuss. Ich hätt ’ne Superstimme, könnt’s weit damit bringen …«
    »Das ist alles?«
    »Gib mir noch ’ne Kippe!«
    Eine Craven, Feuer. Er hoffte, der kleine Scheißer würde ihm keinen Bären aufbinden.
    »Als er sah, dass mir das egal war, hat er mir gedroht. Mit lächerlichen Strafen. Schlimmstenfalls könnte ich aus dem Chor fliegen. Ich hab mich kaputtgelacht.«
    »Und dann?«
    »Wurde er plötzlich ernst. Meinte, wenn das so weitergeht, wird sich der Menschenfresser einmischen.«
    »Der Menschenfresser?«
    »Ja, er hat das ’n paarmal wiederholt. Hat es sogar auf Spanisch gesagt: El Ogro. «
    »Was sollte das bedeuten?«
    »Keine Ahnung. Er so’n Stuss geredet, ich schwör’s. Er hat von ’nem Menschenfresser gefaselt, der uns überwacht und uns schrecklich bestrafen könnte …«
    Sylvain betrachtete das glühende Ende der Zigarette und gluckste:
    » El Ogro , verdammter Idiot …«
    »Deine Geschichte ist doch keinen Pfifferling wert.«
    »Bin noch nicht fertig.«
    »Dann mach weiter.«
    Sylvain blies einige perfekte Rauchringe aus. Eine weitere gelungene Nummer.
    »Götz hat weiter über El Ogro rumgesponnen. Wär’ so ’n Riese ohne Mitleid, der uns beim Singen zuhört. Könnte ausrasten. Er begann mir mit seinen bescheuerten Geschichten auf’n Wecker zu gehen. Und dann plötzlich hab ich gerafft, dass Götz das echt geglaubt hat …«
    »Wie das?«
    »Er hatte Angst … richtig Schiss hatte der. Als ob das alles wahr wär.«
    »Wie ist euer Gespräch zu Ende gegangen?«
    »Wir sind zurück in die Kirche und haben mit der Probe weitergemacht. Dann hat Götz seine Hand auf meine Schulter gelegt, und da hab ich gewusst, dass ich recht hab. Das mit der Hand, das war für ihn selbst. Er hat geglaubt, dass er mir was Furchtbares gesagt hat. Etwas, was ich nicht überrissen hätte. Gut für mich. Sein Geheimnis wär zu belastend für ’nen Jungen.«
    Volokine überlegte. Das hatte er nicht erwartet. Überhaupt nicht. El Ogro : Was konnte das bedeuten? War das die Bedrohung, vor der sich Götz fürchtete? Der Mörder, der ihn durch Schmerzen getötet hatte? Seine Phantasie ging mit ihm durch. El Ogro – vielleicht hatte er zuerst Tanguy Viesel und dann Hugo Monestier entführt … Ein Ungeheuer, das aus irgendeinem unerfindlichen Grund von reinen, unschuldigen Stimmen angelockt wurde. Zum ersten Mal zweifelte er an seiner Intuition. Vielleicht hatte er mit seinen Vermutungen über Pädophilie und Rache falschgelegen.
    »Wann war das?«
    »Vor kurzem, drei Wochen.«
    Volo schob das in Silberpapier eingewickelte Stäbchen zu dem Rotschopf:
    »Afghane. Das Beste auf dem Markt.«
    Der Junge streckte die Hand aus. Volo schloss die seine darüber.
    »Aufgepasst. Wenn du jemals Heroin oder Crack anrührst, komm ich dahinter. Ich kenne alle Dealer von Paris. Ich werde ihnen deinen Namen und deine Personenbeschreibung geben. Sollte mir irgendetwas zu Ohren kommen, werde ich dir die Schnauze polieren. Ab heute hab ich ein Auge auf dich, mein Freund.«
    Sylvain François blinzelte. Furcht zeichnete sich in seinen Augen ab. Volokine grinste ihn an. Er wusste, wieso der Junge Angst hatte. Er hatte in den Augen des Polizisten, wie in einem Spiegel, das Ebenbild seiner eigenen »Gehirnarchitektur« aufscheinen sehen. Ungewöhnlich große Areale, die ausschließlich für den Instinkt, die Angst, die Gewalt reserviert waren. Ein einfach strukturiertes Gehirn, ganz auf das »Bauchgefühl« programmiert, das eine zielgerichtete, effiziente, unerbittliche Brutalität hervorbrachte.
    Die Gehirnarchitektur eines Wolfskindes.

KAPITEL 28
    Kasdan wartete seit einer halben Stunde vor Notre-Dame-de-Lorette. Sein Wagen war in der kreisförmigen Straße, die um die Kirche

Weitere Kostenlose Bücher