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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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herumführte, halb auf dem Gehsteig geparkt. Er hatte eine erste Nachricht auf der Mailbox des Russen hinterlassen und ihm mitgeteilt, dass er ihn abholen werde. Keine Antwort. Eine zweite Nachricht, um ihn wissen zu lassen, dass er vor der Kirche war. Wieder keine Antwort.
    Gerade wollte er ein weiteres Mal anrufen, als Volokine herausgestolpert kam. Mit seiner Drillichjacke und seiner Umhängetasche glich er einem Globalisierungsgegner, die Tasche voller Flugblätter, bereit, seine Truppen vor den Kirchen zu sammeln.
    Der junge Querkopf sprang die Stufen in großen Sätzen hinunter. Als er auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, raunzte Kasdan ihn an:
    »Hörst du nie deine Mailbox ab?«
    »Sorry, Opa, große Besprechung. Hab sie gerade erst abgehört.«
    »Was Neues?«
    »Ja, aber nicht das, was ich erwartet habe.«
    »Nämlich?«
    »Sylvain François ist nicht unser Täter. Außerdem hat er Schuhgröße 40 oder 42.«
    »Und weiter?«
    Volokine gab ihm eine Zusammenfassung. Die Angst von Götz. El Ogro . Diese Idee von einem Ungeheuer, das die Kinder wegen ihrer Stimme entführte. Kasdan begriff nicht, was diese neuen Informationen bringen sollten.
    »Nichts als Mist, wie?«
    Volokine holte sein Joint-Set heraus. Kasdan murrte:
    »Kannst du dich nicht ein bisschen am Riemen reißen?«
    »Das passt gut, … Fahren Sie schon. Hier wimmelt’s von Bullen.«
    Kasdan fuhr an. Autofahren entspannte ihn, und er hatte Entspannung nötig.
    »Und Sie?«, fragte Volokine, die Augen auf die Blättchen gesenkt.
    »Ich habe die weltweit wohl einzigen beiden Kriminologen kennengelernt, die zugleich Priester sind.«
    »Was hat’s gebracht?«
    »Abenteuerliche, aber ansteckende Theorien.«
    »Wie etwa?«
    Kasdan antwortete nicht. Er fuhr die Rue de Châteaudun bis zur Metrostation Cadet hinauf, bog nach rechts in die Rue Saulnier ein. Er hatte ein Ziel. Mehrere Hundert Meter fuhr er die Rue de Provence in verkehrter Richtung, als hätte er ein Blaulicht und einen gültigen Polizeiausweis. Schließlich stieß er auf die Rue du Faubourg-Montmartre, in der sich die Passanten drängten, und hielt vor den Folies Bergère.
    »Weshalb ausgerechnet hier?«, fragte Volo, während er seinen Joint glattstrich, der die Vollkommenheit eines ägyptischen Szepters hatte.
    »Die Menschenmenge. Es gibt kein besseres Versteck.«
    Der Russe nickte und zündete seine Papierlunte an. Die stark riechenden Rauchspiralen breiteten sich im Fahrgastraum aus. In Wirklichkeit war es eine persönliche Wallfahrt Kasdans. Ende der sechziger Jahre hatte er sich in eine Tänzerin der Folies Bergère verliebt. Diese Erinnerung hatte ihn nie losgelassen. Das Warten in Uniform in seinem schwarz-weißen Polizeiauto. Die Frau, die nach der Vorstellung auf den Beifahrersitz sprang, die Brüste mit Pailletten bestreut. Und ihre Ausflüchte. Sie sei verheiratet. Sie möge weder Polizisten noch Typen, die knapp bei Kasse seien …
    Kasdan lächelte in sich hinein, ganz in seine Erinnerungen versunken. Für einen Mann in seinem Alter war jedes Pariser Viertel mit starken persönlichen Erinnerungen verbunden.
    »Mist«, feixte Volo, »ich rauche, und Sie schweben in höheren Regionen.«
    Der Armenier verscheuchte seine Träumereien. Das ganze Wageninnere war dicht eingequalmt. Man sah kaum fünf Zentimeter weit.
    »Kannst du das Fenster aufmachen?«
    »Kein Problem«, sagte der Russe und kam der Aufforderung nach. »Was sind das jetzt für Theorien?«
    Kasdan sprach lauter, um den Lärm der Menschenmenge vor dem offenen Wagenfenster zu übertönen:
    »Die beiden Priester haben den Finger auf einen bestimmten Punkt gelegt. Eine Sache, die offen zu Tage liegt.«
    »Welchen Punkt?«
    »Das Fehlen eines Motivs. Es gab keinerlei Grund für den Mord an Götz. Ich hab deine Theorien über seine Pädophilie für bare Münze genommen, aber wir haben nicht den geringsten Hinweis darauf gefunden.«
    »Und die politische Spur?«
    »Mutmaßungen, nichts weiter. Einmal angenommen, dass Ex-Generäle tatsächlich lästige Zeugen ausschalten, was in sich bereits fragwürdig ist, gibt es keinen Grund dafür, dass sie einen so komplizierten Modus Operandi wählen. Die Verstümmelungen, der Schriftzug an der Wand, all das.«
    »Also?«
    »Die Priester haben von einem Serienmörder gesprochen, der von reiner Mordlust angetrieben wird.«
    Volokine lehnte seine Fersen auf das Armaturenbrett:
    »Kasdan, wir wissen, dass es mehrere sind. Wir wissen, dass es Kinder sind.«
    »Weiß du, was

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