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Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Titel: Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane V. Felscherinow , Sonja Vukovic
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immer dieses Kikeriki und das I-a i-a i-a. Über Meilen hinweg hast du das gehört.
    Am dritten Tag sagte ich zu Gode, zumindest er solle doch mal an den Strand gehen. Aber er war auch völlig fertig, obwohl er kein Junkie war. Als wir in Griechenland etwas runterkamen vom Großstadttrubel, ist ihm wohl überhaupt erstmals bewusst geworden, wie viel er als DJ und Gitarrist ständig reist und trinkt und wie wenig er isst und schläft. Gode war genauso fertig wie ich, nur auf andere Art und Weise.
    Die ersten vier, fünf Tage verbrachten wir also nur im Bett. Und dann, als wir uns endlich hätten erholen können von dem ganzen Dreck in Berlin, riefen sie Gode tatsächlich aus Griechenland zurück.
    Ich sagte zu ihm: „Wenn du jetzt gehst, dann gehst du für immer.“
    Ich glaube, das mit uns hätte echt gut gehen können. Noch heute passt seine Frau auf, wenn wir uns zufällig auf der Straße irgendwo treffen. Aber damals ist das eben so ausgegangen. Er ist geflogen, und ich gab ihm zum Abschied mein überflüssiges Gepäck mit. Danach hatte ich nur noch eine Reisetasche bei mir und schlug mein Zelt an dieser Taverne auf, wo ich der schönen, schwarzen Schäferhündin und ihrem geheimnisvollen Herrn begegnete.
    Panagiotis hatte sich in einem hohlen Baum sein Paradies geschaffen, ein traumhaftes Zuhause mit zwei Zimmern und Terrasse! Die Wurzeln waren so gewachsen, dass sich zwei Höhlen bildeten. Die eine war das Tierzimmer, dort schliefen Negrita und die Katze, in dem anderen Raum wohnten wir.
    Da der Baum inmitten der Dünen auf einer kleinen Anhöhe stand, konnten wir davor eine kleine Feuerstelle einrichten. Hier haben wir es uns immer schön gemacht, Dutzende Plastikflaschen mit Sand und Kerzen gefüllt und in den Baum gehängt. Von der Taverne weiter unten aus gesehen schien es immer, als ob der ganze Baum leuchtet.
    Was uns verband, war eine schlimme Kindheit mit Prügel und viel Einsamkeit. Er musste schon mit zehn Jahren die Schafherde seines Vaters in einem armen Dorf an der Grenze zu Albanien hüten. Der nächstgrößere Ort hieß Igoumenitsa, das ist eine kleine Fährenstadt rund zwanzig Kilometer von Korfu entfernt. Panagiotis bekam oft den Zorn seines Vaters zu spüren, wenn irgendetwas nicht so war, wie der sich das vorstellte.
    Als er fünfzehn war, kamen Hippies auf der Durchreise in seine Heimat. Sie waren mit dem berüchtigten Magic Bus unterwegs – auf dem Hippie Trail, mit dem in den Sechzigern und Siebzigern Tausende Menschen von Europa über Land nach Südasien reisten.
    Vielen damals ging es nicht nur darum, günstig die Welt zu erobern, sondern auch um die Drogen, die man entlang der Route billig bekam. In Afghanistan zum Beispiel, aber auch in Goa.
    Panagiotis fragte die Reisenden aus über die Welt, die jenseits der Grenzen seines Dorfes lag, und war fasziniert von ihren Geschichten, ihrer Freizügigkeit und ihrer Unabhängigkeit. So beschloss er mitzugehen, verkaufte seinem strengen Vater diesen Ausbruch als Abenteuer, an dessen Ende er als richtiger Mann wiederkäme, und versprach seiner Mutter, spätestens im nächsten Sommer wieder zu Hause zu sein. Inzwischen war er 30, fünf Jahre älter als ich, und wanderte seit dieser Begegnung wie Odysseus über die griechischen Inseln. Ich schloss mich ihm an.
    Wir wohnten in selbst gebauten Holzhütten oder unter Hibiskusbäumen. Wir schliefen, um die Insekten und Skorpione abzuschrecken, auf Teppichen aus Thymian und Oregano oder einfach auf dem feinen Sand am Meer. Wir suchten Schnecken und tauchten nach Muscheln. Das bisschen Geld, das Panagiotis als dilettantischer Tätowierer an bierseligen Touristen verdiente, reichte gerade einmal für Wasser und Reis.
    Wir hörten oft alte Musik. Gary Moore, Dire Straits, Pink Floyd. Piratensender spielten die Songs die ganze Nacht über. Es ist unglaublich romantisch, wenn du am Lagerfeuer sitzt und dein Mann dreht konzentriert am Regler, bis er den Song in so guter Qualität reinbekommt, dass du dich in seine Arme schmiegen und in die Flammen gucken kannst. Der Himmel war nachts voller Sterne, dort, wo sich zwei Kontinente treffen, ist es auch so, als kämen zwei Sternenhimmel zusammen. So etwas Fantastisches hatte ich noch nie gesehen.
    Unser Essen bereiteten wir am offenen Feuer zu, ich wusch unsere Klamotten an öffentlichen Wasserstellen, wir brauchten kein Tiefkühlfach und keine Waschmaschine. Wir brauchten nur uns.
    Wir waren zu viert. Panagiotis’ jüngerer Bruder Christos und dessen Freundin

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