Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
T-Shirts tragen, wegen dieser hässlichen roten Punkte auf meinen Oberarmen. Gefäßspinnen nennt man die.
Und dann dieser fiese Pelz auf der Zunge und die Verstopfung, manchmal kann ich tagelang nicht auf die Toilette gehen. An anderen Tagen wiederum muss ich mich die ganze Nacht lang übergeben, weil wieder irgendetwas in meinem Stoffwechselsystem entzündet ist, der Magen, die Blase oder der Darm, und ich das Antibiotikum nicht mehr vertrage. Seit ein, zwei Jahren wird außerdem mein Bauch immer dicker, weil die entzündete Leber sich aufbläht und weil sich Wasser in meiner Bauchhöhle sammelt. Das ist doch keine Lebensqualität, die Leber ist ein voll wichtiges Organ.
Aber wenn ich sie behandeln lassen wollte, müsste ich mich wochen-, vielleicht monatelang spritzen lassen. Mir werden alle Haare ausfallen, es würde mir ständig übel davon, und depressiv wird man auch.
Interferon heißt das Mittel, das die Ärzte gegen Hepatitis B und C einsetzen. Es ist auch ein Krebsmittel, aber wirklich virenfrei werde ich als Hep-Patientin damit nicht. Die Krankheit bricht immer wieder aus, sobald mein Körper wieder mehr Stress oder mehr Giften ausgesetzt ist. Das bedeutet, dass ich nur noch eine Flasche Berentzen in der Woche trinken dürfte, vielleicht zwei oder drei.
Nein, die Nebenwirkungen sind mir einfach zu krass, ich habe das bei einer sehr engen Verwandten, deren Namen ich hier nicht nennen möchte, gesehen. Auch sie hatte sich mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert, auch sie weiß nicht genau, wie. Doch sie hat sich für eine Interferontherapie entschieden – und es schnell bereut. Je nachdem, mit welchem Präparat man behandelt wird, juckt es am ganzen Körper, und überall entwickeln sich Ekzeme, sodass ohne Cortisonsalbe gar nichts mehr geht. Man verliert kiloweise Gewicht, wird kraft- und antrieblos. Im schlimmsten Fall helfen nicht einmal die Antidepressiva, man verfällt den schlimmsten Depressionen, hegt Suizidgedanken und ist von Panikattacken geplagt. Fast ein komplettes Jahr hat diese Verwandte gebraucht, um sich wieder richtig zu fangen, um aus dem Haus gehen und einigermaßen normal leben zu können. Vielleicht bin ich in einem Jahr schon tot.
Ich habe Hep C Genotyp 1a. Es gibt sechs solcher Genotypen, aber zwei davon nur in Afrika, einen nur in Asien. Meiner ist der aggressivste Stamm, den man in Europa bekommen kann. Es gibt kaum Heilungschancen, und am Ende vegetiere ich nur noch vor mich hin und habe keinen Cent mehr, kann mir keine Pflege und kein Leben in Würde mehr leisten. Denn ich habe ja auch keine Rente oder so. Also würde ich nur so eine Art Fürsorge bekommen, von der das meiste für diese Interferonbehandlung draufginge. So soll meine Zukunft nicht aussehen! Nein, da sterbe ich lieber schnell als langsam und in Armut.
Ich bin ja jetzt schon völlig überfordert damit, dass ich sieben Tage die Woche zum Arzt an den Hermannplatz toben muss, um mein Methadon einzunehmen. Früher haben die Ärzte das Methadon noch mitgegeben, aber die Zeiten sind vorbei, weil mit den Substitutionsmitteln gedealt wird wie mit Drogen. Auch manche Schwestern, Pharmazeuten, Apotheker und Mediziner sind dick im Geschäft – eine Arzthelferin aus einer Praxis, in der ich in Behandlung war, wurde jetzt am Kottbusser Tor beim Verkauf erwischt und verhaftet. Die wird sich zu ihrem bescheidenen Schwesternsalär ordentlich was dazuverdient haben – ein Milligramm kostet auf dem Schwarzmarkt einen Euro, wenn ich es an einem Morgen wieder einmal kaum aus dem Bett schaffe, ist es mir das Geld wert.
An manchen Tagen komme ich kaum zu Bewusstsein vor Erschöpfung, weil ich mich die ganze Nacht zuvor übergeben musste und kein Auge zubekommen habe. Ich bleibe dann zwangsläufig in meiner Wohnung. Mein ganzer Körper zittert und ist vollkommen dehydriert, meine Beine finden kaum Halt, ich schaffe es gerade einmal so aufs Klo. Wie soll ich in so einem Zustand zum Arzt? Das schaffe ich nicht. An solchen Tagen wünsche ich, ich hätte niemals eine Droge probiert, ich hätte niemals dieses geile Gefühl auf Turn kennengelernt, denn diese Schmerzen sind der Preis, den ich jetzt dafür zahle.
Turkeyschieben ist ein Kinderspiel dagegen, man gewöhnt sich irgendwie an den Entzug, man gewöhnt sich ja letztlich an alles. Aber was den Unterschied macht: Du weißt, das geht vorbei. Du weißt, wenn du ein paar Tage durchstehst, dann bist du wieder fit und bei Kräften. Aber meine Leber, die wird nie mehr okay. Die ist
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