Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
wirklich auf Dauer in Griechenland leben?
Geld hatte ich genug, das war nicht das Problem. Auf meinen deutschen Konten lag fast eine halbe Million Mark. Aber Panagiotis sagte: Hey, du bist eingeladen, und entweder du liebst mich mit dem Wenigen, was ich habe, oder du haust ab. Das fand ich in Ordnung, Geld bedeutet mir nichts. Es spielte nur deshalb eine Rolle in meinem Leben, weil es die anderen, meine Familie und meine Freunde, immer so wichtig nahmen.
In Griechenland war ich natürlich nicht krankenversichert. So ließ ich mir das Geld für den Eingriff, 250 Mark, aus Berlin per Postanweisung kommen; meine Mutter hatte damals eine Generalvollmacht.
Aber es wäre wohl besser gewesen, ich hätte das in Deutschland machen lassen. Die Klinik in Athen war ein Schlachthaus. Weil wir aussahen wie Vagabunden, haben sich die Ärzte einen Dreck um uns geschert. Die Griechen haben den Begriff Barbaren erfunden. Und genau so gingen sie dort mit mir um. Als wäre ich eine Sache, ein Nichts. Und dann fingen die aus heiterem Himmel auch noch zu streiten an. Sozusagen mit dem Messer in der Hand.
Ich verstehe viel mehr Griechisch, als ich spreche, und soviel ich mitbekommen konnte, war die jüngere der Schwestern gar nicht einverstanden, bei einer Abtreibung zu assistieren. Die ältere, erfahrenere Schwester stand neben mir mit Lachgas. Ich hatte einfach nur Angst und flehte: „Bitte mehr Gas. Mehr, Mehr, mehr!“ Da gaben sie mir so viel, dass ich zusammengeklappt bin, dann haben sie mich geohrfeigt, damit ich wieder aufwache, und einfach liegen gelassen, bis ich wieder zu Bewusstsein kam.
Als es dann weiterging mit der Abtreibung, bekam ich alles mit, wie sie mit dem Skalpell alles rausgeschnitten und dann abgesaugt haben. Es tat furchtbar weh, und die Geräte sahen grausig aus, alt und schmutzig und verkalkt.
Negrita war etwa zur gleichen Zeit auch schwanger und brachte zehn Welpen zur Welt. Wir hatten nicht mitbekommen, wie es dazu gekommen war. Aber als Hundeliebhaberin merkte ich natürlich gleich, dass sie schwanger war. Bis sie dann geworfen hat, konnten wir das verdrängen, aber am Morgen nach der Geburt mussten wir uns darüber klar werden, dass wir keine zehn Welpen mit uns nehmen konnten. Auch für die Hündin waren zehn zu viel, aus ihren Zitzen kam bald nur noch Blut. Und wir selbst hatten auch nur Reis.
Also habe ich jeden Krebs, jede Schnecke, jeden Käfer, jeden Mist, der Eiweiß hatte, vorgekaut und den Hundebabys in den Mund gespuckt.
Mein Geld konnte uns in dieser Situation auch nicht helfen, denn es gab weit und breit keine Geschäfte. Wir waren mitten in der Pampa, in Lerapetra auf Kreta, es gab kein Hundefutter und auch keinen Arzt, wir hätten hundert Kilometer weit nach Iraklio fahren müssen. Und selbst wenn wir dort einen Arzt gefunden hätten, hätte der erst einmal Fakelaki haben wollen, sonst hätte er den Hund gar nicht angefasst.
Hunde sind in Griechenland keine beliebten Tiere, du darfst sie nirgendwo mit reinnehmen, nicht mal in den Bus. Wir mussten Negrita in den Reisebussen immer unten bei den Koffern wegsperren. Das wäre mit den Welpen nicht gegangen.
Also traf Panagiotis eine Entscheidung: „Sucht euch die vier Schönsten raus, die vier fettesten Welpen. Den Rest nehme ich“, sagte er. Wir gingen zum Strand, an eine Stelle, wo uns niemand sehen konnte. Weinend haben wir dann zusammen ein Loch in den Sand gegraben, die Welpen in eine Tüte getan und zugeschnürt, damit sie ersticken. Dann schütteten wir Sand darüber, zu und weg.
Am Abend haben wir uns betrunken und versucht, unsere Trauer so zu ersticken wie die Welpen. In solchen Momenten habe ich wirklich gelitten und mich gefragt, wozu ich das alles mitmache. Aber sonst hat mir dieses Leben so viel gegeben, ich habe es ehrlich geliebt, wie Beduinen von Insel zu Insel zu ziehen und frei zu sein von Konsum und Geld.
Heute weiß ich, dass diese Jahre in Griechenland die glücklichsten meines Lebens waren.
Nach mehr als fünf Jahren wollten Panagiotis und ich sesshaft werden und einen Tätowierladen in Athen aufmachen. Wir hatten geplant, dass Panagiotis bei einem Berliner Tätowierer lernen soll und dass wir dort auch die Geräte und sauberes Material kaufen. Ich war vorgeflogen, um alles in die Wege zu leiten, damit Panagiotis, der das urbane Leben gar nicht mochte, sich so kurz wie möglich in Berlin aufhalten müsste.
Er hasste die Stadt. Zumal ich bei unseren vorherigen Kurzbesuchen einmal versucht hatte, ihn an
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