Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
bei Dokumentationen hängen – über Länder, Tiere, Reisen. Der Junge schaut sich dagegen diese ganzen Trash-Sendungen an. Oder Filmparodien. Er lacht eben gern. Früher musste ich einmal in der Woche mit Phillip dieses „Pleiten, Pech und Pannen“ angucken. Vor allem die Unfälle mit Kindern und Tieren fand ich aber auch sehr witzig.
Ein Film zeigte einmal eine Frau mit einer Dogge am Tisch. Die Frau isst ganz entspannt, und der Hund, das sind ja so riesige Viecher, hockt daneben und ist ganz auf den Teller fixiert. Dann geht die Tür auf, und das Herrchen kommt rein, mit einer brutal hässlichen Maske über dem Kopf. Eine aus Gummi, so eine fiese Frankensteinmaske. Der Hund hat sich dermaßen erschrocken, das habe ich so noch nie gesehen, dass ein Hund sich so erschrecken kann. Die Augen weit auf, ganz starr vor Angst.
Ich selbst lese ja oft biografische Bücher. Das Leben interessiert mich. Wie Menschen funktionieren, das interessiert mich. Und ich bin froh, wenn Phillip überhaupt liest. Er hat die Probleme nach der Trennung kompensiert, indem er sich in eine andere Welt reingelesen hat. Er las alle fünf Harry-Potter-Bücher, in null Komma nichts hatte er die durch.
„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ hat er nicht gelesen. Wozu auch? Die Peters und ich haben ihn vom Unterricht befreien lassen, als seine Deutschlehrerin auf die unserer Meinung nach ziemlich unangebrachte Idee kam, mein Buch in Phillips Klasse zu besprechen – wie andere Kinder über seine Mutter urteilen, das wollte er dann doch nicht hören. Und wie sollte er auch eine sachliche Analyse dazu abgeben? Menschen können so unsensibel im Umgang mit Kindern sein!
Aber ich habe Phillip alle Geschichten aus dem Buch erzählt. Natürlich weiß er alles über mich und seinen Vater, der Junge ist doch nicht doof. Und ich wollte ihn auch immer so behandeln wie einen klugen Menschen, das hat er verdient. Er war es mir immer wert, ehrlich zu sein.
Bei unserem letzten Treffen setzte ich mich hinter ihn auf die Matratze und kraulte sein Haar. Und dann sagte ich ihm ganz ehrlich, dass er nicht mehr lange etwas von seiner Mutter haben wird und dass ich möchte, dass wir unsere Treffen so schön wie möglich gestalten. Phillip weiß, dass ich Leberprobleme habe.
Die Ärzte schlagen in letzter Zeit immer nur die Hände über dem Kopf zusammen, wenn sie mein Blutbild sehen. Die Entzündungswerte würden immer schlimmer, sagen sie. Und ich sage dann immer: „Hören Sie auf! Ich will davon nichts hören.“
Ich weiß nicht, wie lange ich noch zu leben habe. Ich beschäftige mich damit nicht, ich kann nicht, ich will nicht andauernd an den Tod denken.
Wenn es so weit ist, dann ist es einfach so weit. Wenn meine Leber versagt, dann wird mein Blut nicht mehr gereinigt, dann werde ich vollends vergiftet sein. Und am Gift sterben. Oft habe ich mich danach gesehnt – und manchmal habe ich natürlich Angst vor dem Moment. Immerhin. Wer hätte gedacht, dass ich 51 Jahre alt werde?
Was man von einem Junkie nicht erwarten würde, ist wohl, dass er im Leben noch Träume verwirklicht. Und? Viele meiner Träume sind geplatzt. Aber es ist noch nicht vorbei.
Epilog
Eines Sommernachmittags 2013 saßen wir vor einem Café in der Kreuzberger Dieffenbachstraße, Christiane mit dem Rücken zur Wand. Neben ihr lag ihr Chow-Chow Leon, hinter mir die Straße und der Bürgersteig, ich sah die Frau mit dem Terriermischling nicht kommen.
Wann Christiane die beiden wahrgenommen hat, weiß ich nicht, meiner Erinnerung nach hat sie kein einziges Mal ihren Blick von ihrem Käsebrötchen abgelassen, nach dem sie schon einige Zeit hungerte. Mit einem Mal, wir sprachen über eine bevorstehende Interviewreise nach Paris und die Gestaltung des Buchcovers, hob Christiane ihren Kopf, sah rechts an mir vorbei, runzelte die Stirn und sagte mit sanfter Stimme zu der gerade seitlich von mir zum Stehen gekommenen Passantin:
„Das würde ich nicht tun. Wenn ihr Rüde meinen beschnüffelt, wird sich mein Leon in die Ecke gedrängt fühlen. Hinter ihm ist eine Wand, um ihn herum Tische und Stühle, er hat also keinen Fluchtweg und wird ihren Hund angreifen, um sich zu schützen. Ihr Terrier ist jung und kann Gefahren noch nicht richtig einschätzen, zudem hat diese Rasse einen starken Charakter und muss erst einmal mit Blick auf ihre offensive Art trainiert werden.“
Die Frau sah mich irritiert an. Sie sah Christiane an. Dann riss sie ihren jungen Rüden zurück, der sich schon an Leon
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