Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
vorbereiten sollten, „die später in einem der Springer-Medien veröffentlicht wird“. So lautete die Aufgabe.
Seit meinem 14. Lebensjahr hatte ich frei für unterschiedliche regionale und überregionale Medien gearbeitet, unter anderem als freie Reporterin für die Rheinische Post, als Praktikantin für den Spiegel und als Pauschalistin für die Berliner Morgenpost. Dabei hatte sich meine Arbeit schon immer sehr stark auf biografische und gesellschaftskritische Reportagen fokussiert, extreme Charaktere und besondere Schicksale faszinierten mich.
Was nun, im November 2010, mein Vorhaben mit Christiane Felscherinow betraf, so fragte ich Unterstützung bei Michael Behrendt an, dem Chefreporter der Berliner Morgenpost. Weil er als langjähriger Polizeireporter nicht nur packende Bücher über schwere Schicksale schreibt, sondern auch über Kontakte zu sämtlichen Behörden verfügt, fragte ich ihn, ob er mir helfen könne, rauszufinden, wo Christiane wohnt. Und ob er mir als männliche Verstärkung und Experte an meiner Seite beistehen wolle, sollte ich zu Recherchezwecken etwas tiefer in die Berliner Drogenszene eintauchen müssen? Kaum zwei Wochen später standen Michael und ich also vor dem Haus, in dem Christiane Felscherinow seit 2005 zur Miete lebt.
Ich war überrascht, wie bieder die Wohngegend ist, die sie sich ausgesucht hatte: neumodische Mehrfamilienhäuser aus Backstein, geschnittene Sträucher und künstlich gepflanzte Bäume, die Straßen breit und sauber. Um einen großen Teich herum sitzen junge Paare auf Bänken und liegen sich in den Armen. Christianes Wohnung lag gleich über einem Geschäft für Dekorationsbedarf mit dem Namen „Haus der schönen Dinge“.
Als sie den Hörer der Gegensprechanlage aufnahm, war es etwa zwölf Uhr mittags. Nach meiner Vorstellung und der meines Anliegens gab es eine kurze Pause, dann sagte Christiane: „Es passt mir gerade gar nicht, Ihr Klingeln hat mich aufgeweckt. Werfen Sie doch einfach ihre Karte in den Briefkasten.“ Dann legte sie auf.
Verdammt, ich habe sie auf dem falschen Fuß erwischt.
Vorbereitet war ich darauf, wie ich bei ihr einen möglichst vertrauenswürdigen Eindruck hinterlassen könnte, nun konnte ich nur meine Karte hinterlassen, die mich entgegen meiner Vorstellung auch noch als Volontärin auswies.
Es surrte, ein Klick, die Glas-Metall-Tür zum Wohnhaus ging auf. Ich betrat den sauberen Hausflur mit grauen Fliesen, weißen Putzwänden und grauem Treppengeländer, suchte unter den acht weißen Briefkästen den einen mit dem Namen Felscherinow drauf. Gefunden. Sie musste im dritten Stockwerk leben, dachte ich, warf meine Karte ein und ging.
Bis heute erzählt Christiane jedem, dem sie mich vorstellt, von dieser Szene. Sie sagt dann immer: „Sonja war die erste Journalistin, die nicht die Gelegenheit ausgenutzt hat und einfach raufgestürmt war bis an meine Wohnungstür. Die nicht durch den Spion geguckt und Nachbarn gefragt hat: Wie ist es, mit Christiane F. unter einem Dach zu leben?“
Dadurch, dass ich Christianes Wunsch nach Ruhe respektiert hatte, hatte ich mir ihren Respekt verdient.
Am späten Abend, weit nach 20 Uhr, hatte tatsächlich mein Handy geklingelt. Rufnummer unbekannt. „Hallo, hier ist Christiane“, sagte die rauchige, jetzt muntere Frauenstimme am anderen Ende. Ich war baff, das merkte sie. „Ich hatte doch gesagt, dass ich anrufen würde“, fuhr sie fort, als sei es das Selbstverständlichste der Welt, dass sie das dann auch tatsächlich tut.
Wir verabredeten uns für zwei Tage später, 19 Uhr, im Gaffelhaus am Gendarmenmarkt. Aber als sie nach mehr als einer Stunde nach dem vereinbarten Termin nicht da war, bestellten Michael und ich die Rechnung. Plötzlich ging die Tür auf. Und da waren sie: Christiane und Leon.
Wir trauten unseren Augen kaum. Das soll die Frau sein, über die zwei Jahre zuvor geschrieben worden war, dass sie wieder ganz unten am Boden angekommen sei? Die mehr als drei Jahrzehnte nach dem Welterfolg ihrer Geschichte immer noch Unmengen Heroin, Alkohol und Medikamente zu sich nehmen soll? Auf die eine breite Öffentlichkeit und, wie in der Zeitung zu lesen war, auch die eigene Familie kaum mehr etwas gibt? Die alles verloren haben soll – ihren Ruhm, ihr Geld, ihre Gesundheit? Den Kontakt zur Familie und das Sorgerecht für das eigene Kind?
Christiane sah großartig aus! Sie hatte frisch granatapfelrot gefärbtes Haar, glänzend, gekämmt, mehr als schulterlang. Ihren grauen
Weitere Kostenlose Bücher