Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
am Drehort eintraf. Und als der Regisseur Uli Edel gerade auf einer Leiter stand und überlegte, wo er die Kamera aufstellen sollte, fand er oben auf dem Mauerabsatz ein mit Klebeband befestigtes Päckchen. Als er es öffnete, sah er, dass es Heroin war, und im selben Augenblick stand ein zitternder Junkie mit einem Taschenmesser vor ihm. Er hatte sich irgendwie durch die polizeilichen Sicherheitsabsperrungen geschlichen, riss Edel das Päckchen aus der Hand und lief davon.
John Lennon war die zweite Leiche, die den Dreh von „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ erschweren sollte: Die echte Christiane hatte nach einem Bowie-Konzert im ICC in Berlin-Charlottenburg das erste Mal Heroin probiert. Dieser Moment änderte ihr Leben, und da Bernd Eichinger viel Wert auf Authentizität legte, sah er keine andere Möglichkeit, als dass David Bowie, der selbst für sein Heroinproblem bekannt war, in dieser Szene selbst persönlich mitspielte. Bowie willigte auch tatsächlich ein, doch er gastierte gerade in New York in einer Broadway-Inszenierung, und so gab Eichinger sein allerletztes Geld für einen Flug nach New York und ein amerikanisches Filmteam aus. Am 9. Dezember sollte gedreht werden, und an eben diesem Tag wurde John Lennon vor dem Dakota Building erschossen.
David Bowie traute sich nun nicht mehr auf die Bühne. Er fürchtete, dass es sich um einen Serientäter handeln oder dass es Nachahmer geben könnte. Erst als Bernd Eichinger eine Truppe von Bodyguards engagierte, die während Bowies Auftritt das Set sicherte, nahm der US-Musiker allen Mut zusammen und „rettete“ damit den Film.
Bereits im nächsten Jahr, 1982, war der Film „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ein großer, internationaler Erfolg geworden. Er hatte nicht nur in Deutschland fast fünf Millionen Zuschauer in die Kinos gelockt, sondern erwies sich auch in Holland, Belgien, Griechenland und Spanien als Kassenschlager. In Frankreich spielte der Film sechs Millionen Dollar ein und wurde zum erfolgreichsten deutschen Film des Jahrzehnts. Für die englischsprachige Fassung wurde die Filmvorlage um rund vier Minuten geschnitten, eine ungekürzte DVD-Version ist in den USA erst ab 18 Jahren erhältlich.
„Im Chinese Cinema am Walk of Fame war Premiere“, erinnert sich Christiane, die zum Start des Films zusammen mit Uli Edel auf eine dreiwöchige Pressereise nach Los Angeles geflogen war.
Aus dem fohlenhaften Mädchen mit den langen, dürren Beinen und den dunklen Augenrändern war eine sehr erotische, junge Frau geworden: Immer noch sehr zierlich, aber gleichzeitig eine robuste, selbstbewusste Gestalt. Ihr Gang war entschlossen, ihre Haltung fest und aufrecht, ihr Ausdruck schelmisch, ihr Blick verspielt. Die großen, hell leuchtend grünen Augen waren mit schwarzem Kajal ummalt, die Fingernägel und die vollen Lippen glänzten mal rot, mal braun. Und Christiane sprach, wie sie lebte: schnell und immer ein bisschen verwegen.
Ihre lange Mähne hatte sie zum Teil rasiert und die verbliebenen Haare auf dem Kopf zu einer Rolle zusammengegelt. Mit ihren dunklen Punkklamotten sah sie ein wenig aus wie die kleine Schwester von Nina Hagen. Sie war eine geheimnisvolle, wunderschöne Frau.
Die Suche der Christiane F. nach Zugehörigkeit schien ein zauberhaftes Ende zu finden. Das Mädchen mit der schrecklichen Geschichte und dem schönen Gesicht, das für sich selbst immer wieder die scheinbar dümmsten Entscheidungen gefällt und danach so unfassbar klug über das Menschsein und die Tücken ihres Lebens philosophiert hatte, war eine Symbolfigur für jugendliche Unrast und Auflehnung geworden.
Bei Arte plauderte sie mit dem Theaterregisseur Frank Castorf über die Tugenden der Frau, sie saß neben Jean Paul Belmondo und Peter Maffay an einem Talk-Tisch, ihr Film-Ich Natja Brunckhorst zierte das Cover des Spiegel, darüber stand die Zeile: „Mythos Christiane F.“
Spiegel TV und Stern TV luden sie alle Jahre wieder zum Gespräch und wollten von ihr wissen, was mit der Jugend los war; warum sich terroristische Gruppen wie die RAF gegen dieses System auflehnten? Ob man es in der Bundesrepublik Deutschland, so wie Christiane, von ganz unten nach oben schaffen konnte? Ob es Hoffnung gab für all die Söhne und Töchter und natürlich für Deutschlands bekanntesten Junkie selbst?
Hoffnung gab es durchaus, aber würde sie sich auch erfüllen?
Zum geläuterten Mitglied der heilen Welt ihrer Oma im norddeutschen
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