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Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Titel: Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane V. Felscherinow , Sonja Vukovic
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mein Magen voll, aber der Teller noch nicht leer war, dass ich am liebsten nachts lernte, weil ich nachmittags keine Ruhe fand, dass ich rauchte und trank und wie ich mich ausdrückte. Ich musste auf jedes Wort aufpassen: Wenn ich zum Beispiel nur „Scheiße“ sagte, gab es sofort Krach.
    Das alles machte es mir nicht leicht mit ihr, sie war sehr streng und legte Wert auf sämtliche preußischen Tugenden. Ich fühlte mich bei ihr wie ein Gast, aber nie wie ein Enkel. Nie zu Hause.
    Meine Tante, mein Onkel und meine Cousins lebten auch mit uns im Haus. Die Jungs waren ganz okay, aber meine Tante war wie ihre Mutter, sie versuchte ständig, mir vorzuschreiben, was ich tun durfte und was nicht. Ich musste schon um halb zehn abends zu Hause sein, wenn ich überhaupt ausgehen durfte. Solche Einschränkungen kannte ich gar nicht, und es hat mich total genervt. Alle wollten mir gegenüber Stärke demonstrieren und mich mit Verboten und Regeln dazu zwingen, mich anzupassen.
    Natürlich hat das nicht gerade dazu beigetragen, dass ich mich wie in einer Familie fühlte – und es trug auch nicht dazu bei, dass ich Lust hatte, mich auf dieses Landleben einzulassen.
    Wenn man gegen dich rebelliert, dann rebellierst du eben zurück. Ist doch klar.
    Ich passte da einfach nicht hin, fand ich. Das Leben in Kaltenkirchen war langweilig. Am liebsten hätte ich mich nur noch zugedröhnt, um das Kaff zu vergessen. Es ist grün, das gefällt mir, ich liebe die Natur. Der Marktplatz ist ganz schön, wie ein Park ganz bunt bepflanzt. Es ist alles total übersichtlich, man weiß schnell nicht mehr, wo man hingehen soll als Jugendlicher. Wenn man Kind ist, kann man auf der Straße spielen, da fahren nicht so viele Autos. Aber als Teenie kannst du nur noch am Bahnhof oder am Brunnen abhängen. Oder in einer dieser miesen Diskotheken, in denen überwiegend Schlager gespielt werden.
    Vermutlich weil ich eine Exotin war, machten mich andauernd irgendwelche Typen an. Ständig pfiff mir jemand hinterher oder gab einen dummen Spruch von sich. Ich fand die Jungs viel gröber und aggressiver als in Berlin. Und die Mädels waren viel devoter, die knutschten auch mit denen, auf die sie gar keinen Bock hatten – aus Angst, sonst würde gar nichts passieren.
    Auf dem Land sind die Rollen noch sehr verteilt, das schreckte mich dermaßen ab, dass ich keinen Typen mehr an mich ranließ. Kein Knutschen, kein Sex, nix von all dem wollte ich haben.
    Nachdem ich in Berlin fast drei Jahre praktisch nicht mehr zum Unterricht gegangen war, versuchte ich jetzt, mich auf die Schule zu konzentrieren. Ich wollte etwas aus mir machen, damit ich es wieder rausschaffe aus Kaltenkirchen. Das war mein Hauptziel. Doch dann flog ich schon sehr bald von der Realschule – nicht, weil ich nicht klar kam oder mich danebenbenommen hätte, sondern einfach weil der Rektor nach drei Wochen meine Akte aus Berlin bekam, in der meine Fehltage, meine Sucht und meine Vorstrafen penibel verzeichnet waren. Er sagte mir, dass er mich nicht auf der Schule behalten könne, weil ich den Anforderungen nicht entspräche.
    Das warf mich natürlich wieder aus der Bahn und nahm mir jeden Antrieb. Als Hauptschülerin giltst du auf dem Land gar nichts. Also hing ich wieder ab – mit ein paar Freunden, die über diese Zeit hinaus aber keine Bedeutung hatten, und mit viel Alkohol. Wir trafen uns abends und tranken literweise Wein oder Rum-Cola. Ein paar Mal habe ich auch wieder Valium geschmissen, aber vom Heroin ließ ich die Finger. Ich war ja noch auf Bewährung.
    Wegen wiederholter Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz war ich vom Amtsgericht Neumünster zu sechs Monaten Jugendhaft, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt worden. Natürlich stellte man mir auch einen Bewährungshelfer zur Seite. Der ließ sich allerdings eher selten blicken, und wenn er kam, habe ich ihn meiner Tante überlassen, die ihn mit Kaffee und Kuchen versorgte, am liebsten mochte er ihren Bienenstich. Aber es gab ja auch nichts zu beanstanden.
    Ich lebte dort in einer Familie, alles in dem Haus war ordentlich, an den Wänden hingen Geweihe, mein Opa väterlicherseits war nach der Enteignung Gutsverwalter gewesen.
    Dank eines netten Jungen, der aufs Gymnasium ging und mich zum Lernen animierte, sowie eines engagierten Klassenlehrers machte ich schließlich sogar einen ganz guten Hauptschulabschluss.
    Als dann im Herbst 1978 die Magazinserie und das Buch „Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ erschienen

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