Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
„Stoltenberg-Country“, wie Buch und Film am Ende suggerieren, ließ sich Christiane jedenfalls nicht machen.
Nachdem der Rausch des Ruhms langsam abebbte, versuchte sie sich als Sängerin. Zwischen 1981 und 1983 trat sie zusammen mit Alexander Hacke, Gitarrist der Einstürzenden Neubauten, als Musikduo Sentimentale Jugend auf. 1982 legte sie als Solosängerin einige Schallplatten im Stil der Neuen Deutschen Welle vor, spielte in den Independentfilmen „Neonstadt“ (1981) und „Decoder“ (1983) mit und lebte über Jahre hinweg immer wieder für ein paar Monate als „Au-pair-Mädchen“ in der Schweiz.
Aber egal, wohin sie auch ging und was sie auch tat, sie nahm ihr altes Leben mit.
Von den Drogen kam sie nicht los. Immer wieder las man von Rückfällen. In welchem Ausmaß, das wurde allerdings nie bekannt, Beweise gab es nicht. „Kenner“ behaupteten, dass erst die plötzliche Prominenz und das viele Geld durch den Erfolg des Buches Christiane wieder tiefer in die Sucht getrieben hätten – wer Aufmerksamkeit und Fürsorge durch seine Krankheit erfährt, der hält daran fest, analysierten die einen. Andere sahen in Betäubungsmitteln den Versuch, mit dem Druck der Öffentlichkeit klarzukommen, durch die Erlöse waren sie plötzlich auch ganz einfach zu besorgen.
Ob eines der Gerüchte um Christianes Rückfälle stimmt? Wie viele Drogen sie wirklich nimmt und welches Schicksal sie nun erlebt, das war der Presse immer wieder neue Recherchen wert. Kameras begleiteten sie über die griechischen Inseln, wo sie von 1987 bis 1993 lebte, sie besuchten sie nach der Geburt ihres Sohnes 1996, Günther Jauch lud sie zu sich auf die Couch bei Stern TV und Sandra Maischberger zum „Late Night Talk“.
Seit 2008 redete Christiane F. mit keinem Journalisten mehr. Nicht dass es seither niemand mehr versucht hätte, in unregelmäßigen Abständen, anlässlich einer neuen Drogenstudie etwa oder nach dem Tod von Bernd Eichinger, klingelten immer wieder Reporter an ihrer Tür. Doch Christiane traut ihnen nicht mehr – seit dem Tag, an dem ihr das Jugendamt das Sorgerecht für ihren Sohn entzog und ihr Leid in den Boulevardmedien breitgetreten wurde.
Die BZ hatte Christianes Mutter für eine mehrteilige Interviewserie gewonnen, und andere Medien hatten einem Freund Geld für Informationen bezahlt. Christiane brach mit allen dreien: mit den Journalisten, mit ihrem Bekannten und auch mit ihrer Mutter.
S. V.
Zickzack
3
K ein normaler Vermieter wollte uns haben: vier Männer und eine als Junkiebraut bekannte, wenn nun auch reiche Frau. Ein Haufen „Genialer Dellitanten“, wie wir uns damals selbst nannten – Arbeitslose, in den Augen vieler Spießer im vornehmen Hamburg. Der „Geniale Dellitantismus“, der gegen jede Tradition der Popmusik anspielte und sich schon in seiner Schreibweise gewollt „dilettantisch“ gab, war voll auf dem Vormarsch, Musikgeschichte zu schreiben. Und wir vorne weg, mit super coolen Film- und Musikprojekten.
Ich war zu der Zeit in Nietenstiefeln unterwegs, mit schwarzem Lidschatten und auf einer Kopfhälfte kahl rasiert. Die Jungs hatten auch Iros oder eine andere Rasurfrisur, sie trugen dunkle Klamotten und meist einen schläfrigen Blick. Es war 1980.
Die Vermieter schauten uns nur an und sahen gleich Drogenpartys und Sexorgien – so mieteten wir uns letztlich direkt an der Reeperbahn über einem Sex-Shop in die ehemaligen Redaktionsräume der St. Pauli Nachrichten ein. Hein-Hoyer-Straße 12, das war früher mal ein Puff, ein wunderschönes Jugendstilhaus mit hohen Decken und Stuck.
Das schönste und ruhigste Zimmer bewohnte Klaus Maeck, der das RipOff, den ersten Punk-Plattenladen an der Alster, aufgemacht hatte und später Mitbegründer des Independent-Musikverlages Freibank wurde. Er war 30, was ich mit meinen 18 Jahren damals total alt fand. Auf seinen Namen lief alles, er war der Älteste, so etwas wie unser Guru. Ich hatte die 6.000 Mark Kaution bezahlt und wohnte das Geld dann einfach ab.
Frank-Martin Strauß, alias FM Einheit, war der Dritte im Bunde. Er war Mitglied gleich von mehreren berühmten Bands, etwa Abwärts, Palais Schaumburg und später bei den Einstürzenden Neubauten. Er ist der jüngere Bruder des Schauspielers Ralf Richter. Wir nannten ihn „Mufti“! Dann war aus Berlin noch Jochen Hildisch dazu gezogen, der unter dem Namen Jackie Eldorado als erster Punkmusiker Berlins berühmt geworden war und mal für Schlagzeilen gesorgt
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