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Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)

Titel: Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane V. Felscherinow , Sonja Vukovic
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erfahren hatte. Im Nachhinein muss ich einräumen, wie gut das war, denn die Maßnahme hat mich wohl vor einigem Unheil bewahrt. Das war mir aber damals als Jugendliche und junge Erwachsene durchaus nicht klar, und ich wollte die Pille einfach nicht mehr nehmen. Es war meine Art von Widerstand und Freiheit, sie abzusetzen. Nach all den krassen Geschichten, die ich mit Freiern beim Anschaffen in Berlin erlebt habe, all diesen fiesen Geschlechtskrankheiten, die ich bekommen habe, bin ich froh, dass ich überhaupt noch Spaß an normalem Sex haben kann.
    Als junge Frau wusste ich auch gar nicht, was Verhütung überhaupt ist. Den Aufklärungsunterricht in der Schule habe ich verpasst, weil ich stattdessen auf den Strich gegangen bin – das muss man sich einmal vorstellen!
    Ich hatte keinerlei Durchblick, von nichts eine Ahnung, spielte mich aber als Erwachsene auf, die genau wusste, was sie wollte – und sich das auch nahm. Jetzt nahm ich mir also erst mal Jackie Eldorado.
    Manchmal frage ich mich, was passiert wäre, wenn das Buch nicht erschienen wäre. Die Lehre in der Buchhandlung hätte ich garantiert nicht bekommen, denn die wurde mir nur angeboten, weil ich Christiane F. war.
    Ich hatte mal die Möglichkeit, ein Jahr in eine Hauswirtschaftsschule zu gehen. Anschließend hätte ich Näherin werden können. Ein paar Wochen lang habe ich mich auch als Schaufensterdekorateurin ausprobiert, aber das war nichts für mich. Ich brauche Menschen um mich, nicht nur Puppen und Stoffe. Ich glaube, wenn das Buch nicht erschienen wäre, hätte ich den Nikolai geheiratet und mit ihm zwei Kinder bekommen. Ein langsames, ruhiges Leben hätten wir gelebt und wohl auch aufs Geld gucken müssen. Denn am Bankschalter wirst du nicht gerade reich, und ich bin nicht der Typ für eine normale Karriere. Ich bin nicht faul, ich muss immer was zu tun haben, aber ich kann mich einfach nicht auf geraden Wegen halten, lasse mich immer von Gefühl und Lust leiten, denke nicht so sehr an langfristige Ziele.
    Als ich in Kaltenkirchen ankam, hatte ich überhaupt keinen Schimmer, was aus mir werden sollte. Ich war völlig perspektivlos, wusste nichts mit mir anzufangen und traute mir auch nichts zu. Ein komplett hoffnungsloser Fall. Insofern war es gut, dass das mit dem Buch auf mich zukam, das holte mich erst einmal aus diesem Loch – und führte mich nach Hamburg, in eine neue Welt und in meine Musiker-WG.
    Anfangs machte ich mir gar nicht klar, dass die anderen in der Wohngemeinschaft viel weniger Geld hatten und weniger bekannt waren als ich. Ich bewunderte sie einfach und fühlte mich wahnsinnig wohl mit ihnen. Meine Ausbildung konnte ich in einer Hamburger Filiale der Buchhandlung fortsetzen, und an den Wochenenden arbeitete ich für Klaus. Entweder waren wir in der Markthalle beschäftigt, wo ich mich Backstage um die Künstler kümmerte, deren Konzerte Klaus organisierte. Oder wir waren in der Feldstraße 31 im Karolinenviertel.
    Da war das RipOff, das heute RuffTrade Records heißt, ein Punk-Plattenladen und ein Label, das Klaus zusammen mit Jochen und Alfred betrieb. Alfred Hilsberg war Kritiker bei den Fachmagazinen Musik Express und Sounds, und er war derjenige, der den Begriff Neue Deutsche Welle prägte. Überhaupt hat er die Musikszene der späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahre stark beeinflusst.
    Nachts im RipOff schnürten wir Pakete zum Verschicken an die großen Plattenläden. Klaus hatte mich gern dabei, weil ich mich durch meine Ausbildung mit Buchhaltung auskannte, sodass ich den Papierkram für ihn erledigen konnte.
    Aber ich war bald überfordert mit der Lehre und diesem Zweitjob, denn ich kam quasi gar nicht mehr ins Bett und fing irgendwann an, Kokain zu schnupfen, um mich wach zu halten.
    Viele meiner Freunde koksten, aber es gab kein Braunes. Von Heroin wollten die nichts wissen. Was Stärkeres als Koks gab es nicht, aber das dafür jeden Tag. Gekifft haben wir auch. Aber vom Braunen war ich zu dieser Zeit clean.
    Eines Abends, als ich in der Markthalle vom Koksen auf der Toilette kam, stand ich mit Frank und Mufti an einem Flipper und sah einen Typen, der einfach unglaublich gekleidet war. Seine Hosen waren aus dem Stoff genäht, aus dem Autohimmel gemacht sind. Er trug durchsichtige Gummistiefel, darunter löchrige Socken, und seinen Hals schnürte ein echtes Priester-Kollar! Mit dunklen Rändern unter den Augen und seinem blassen Gesicht sah er aus, als käme er gerade von einer Punk-Beerdigung – und hätte

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