Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
und ich mein Konterfei auf einem riesigen Stern-Plakat an einem Kiosk in Kaltenkirchen sah, war mir sofort klar, dass dies mein Leben umkrempeln würde. Meine Familienprobleme und meine Drogengeschichte waren jetzt öffentlich. Es gab keinen Weg zurück. Plötzlich war ich ein Promi.
Drei Monate lang hatten mich zuvor Kai Hermann und Horst Rieck jeden Tag nach der Schule bei meiner Oma besucht. Wir arbeiteten dann immer circa vier Stunden, bis ich völlig erschöpft war. Dennoch waren die Gespräche für mich wie eine Therapie. Die vielen Fragen halfen mir irgendwie, selbst alles besser zu verstehen, was in Berlin geschehen war. Aber genau wie bei einer Therapie, wenn man alles noch einmal hochholt, strengte mich das über die Maßen an.
Horst war gut bei den Recherchen, Kai hat geschrieben. Was für harten Tobak wir da gemeinsam in die Welt entließen, wurde mir erst später wirklich klar. Ich habe den beiden Journalisten einfach alles erzählt, was ich erlebt hatte – und ich wundere mich im Nachhinein, dass niemand aus der Familie mal bei den Gesprächen dabei gewesen war. Weder meine Mutter noch mein Vater sind jemals dazugekommen oder haben sich auch nur erkundigt, wie es so läuft, worüber wir reden, was da zu Papier gebracht wird. Vieles, was ich damals als Jugendliche einfach so preisgab, tut mir heute leid. Vor allem für meinen Vater, der als prügelnder Versager erscheint.
Dabei war er einfach nur viel zu jung, er war erst 18, als ich geboren wurde. Das entschuldigt sein Verhalten sicher nicht, macht es aber ein bisschen verständlicher – und erträglicher. Bis heute habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich ihn vor aller Welt bloßgestellt habe. Aber das hätten meine Eltern sich und mir auch ersparen können, wenn sie sich dafür interessiert hätten, was ich den Journalisten erzählte.
Im Ort war ich nach Veröffentlichung des Buches jedenfalls schnell Gesprächsthema Nummer eins, selbst wenn ich in Hamburg unterwegs war, erkannten mich viele Menschen. Das war gerade anfangs irgendwie seltsam, denn ich war doch nichts Besonderes, ich hatte ja im Grunde nur Negatives geleistet. Es war mir auch nicht klar, über wie viel Geld ich plötzlich verfügen würde.
Als ich 18 Jahre alt wurde, erhielt ich Zugriff auf ein Konto mit rund 400.000 Mark!
Und ich bekam jetzt, da mein Buch auf Platz eins der Bestsellerlisten stand, auch eine Stelle in der Branche, in der ich plötzlich jemand war: In einer Buchhandlung in Kaltenkirchen begann ich eine Lehre zur Buchhändlerin.
In der Commerzbank gegenüber der Buchhandlung, in der ich meine Ausbildung machte, arbeitete Nikolai Walter, ein total hübscher junger Kerl. Er war überall beliebt, und die Frauen stiegen alle hinter ihm her. Ich sollte ihn eigentlich mit einer Kollegin von mir verkuppeln, aber als wir uns kennenlernten, fanden wir uns gleich so super, dass wir selbst ein Paar wurden. Mit seinem Mini Cooper sind wir dann immer gemeinsam nach Hamburg zur Markthalle gefahren. Das waren Höllenfahrten auf der Autobahn mit diesem alten, kleinen, tief liegenden Wagen. Man kommt sich vor wie auf einem Bobby-Car, die anderen Autos wirken so riesig, und man spürt jede noch so kleine Unebenheit auf der Fahrbahn.
Auch Nikolai hat an Kaltenkirchen so ziemlich alles gehasst. Trotzdem hielt unsere Beziehung nicht lange. Als er zur Bundeswehr eingezogen wurde, verstand ich ihn und die Welt nicht mehr. Wehrdienst, bitte was? In München? Ich kannte so was nicht. Schon gar nicht aus Berlin. Und Nikolai? Er war Bankkaufmann. Ein schlanker, junger Schönling, keiner, der im Dreck kriecht. Aber es half ja nichts.
Also habe ich mich von nun an meistens allein nach Hamburg aufgemacht, und wenn Nikolai an den Wochenenden da war, kam er sich blöd vor, weil ich den anderen Männern irgendwie näher stand als ihm. Er mochte die Leute auch und wollte mit ihnen zu tun haben. Der Sprung vom Dorfleben in die Stadt, auch noch mit Tonstudio und Musikern, das war schon was. Das ist, als würdest du von den Suburbs bei London nach Soho kommen und auf einmal die große, bunte Welt sehen. Aber irgendwie ging das dann nicht mehr mit Nikolai und mir. Und so habe ich in meinem jugendlichen Überschwang einfach Jackie Eldorado abgeschleppt.
Ich wundere mich bis heute, wie abgrundtief naiv ich damals gewesen bin. Sobald ich volljährig wurde, setzte ich die Pille ab. Ich war von meiner Mutter gezwungen worden, die Pille zu nehmen, als sie in Berlin von meiner Beziehung zu Detlef
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