Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
oder 90 Kilo gewogen und nun noch einmal 20 oder 30 Kilo zugenommen hatte. Wenn sie lachte, sah sie aus wie die Grinsekatze aus „Alice im Wunderland“.
Und Hatice lachte sehr oft, jetzt, wo sie ihren Mann los war.
Der kleine türkische Fettsack war Dealer gewesen, und Hatice musste Prügel ertragen und für ihren Mann als Prostituierte anschaffen. Hatice war noch nicht einmal 30 und hatte außer ihrer Sucht wirklich nichts. Also blieb sie bei ihrem Tyrannen. Der Trennungsstress wäre zu viel für sie gewesen, auch weil der Typ sie sicher nicht einfach so hätte gehen lassen. Eines Tages hat ein rivalisierender Dealer ihn erschossen. Seither ging es Hatice immer besser.
Wie ihr Körper das alles schaffte, ist mir ein Rätsel. Sie trank viel Alkohol, rauchte und zog sich außer Kokain wirklich jede Droge rein. Sie war jetzt Mitte 40, auf Arbeitslosenhilfe angewiesen und todkrank. Aber sie hatte Humor und lachte sehr viel. Sie sagte immer: „Wenn ich schon sterbe, dann wenigstens verbraucht.“ Dabei schien sie tatsächlich immer weiter aufzublühen. Es machte einfach Spaß mit ihr.
Dann war da noch Josephine, ein ganz armes Mädchen, das auch nicht von ihrem gewalttätigen Freund loskam. Dabei war der Kerl wirklich nichts Besonderes, außer besonders dumm und besonders aggressiv. Dieser Hüne von einsneunzig lebte im Obdachlosenheim in Friedrichshain. Ein widerlicher Stinker, der ständig besoffen war und laut pöbelte. Und er prügelte sie.
Einmal brach sie weinend am Gleis vom U-Bahnhof Schönleinstraße zusammen. Wie in einer Schockstarre. So fertig war sie – aber nicht, weil sie ihren Peiniger loswerden wollte, sondern weil sie trotz seiner Schikanen immer wieder daran verzweifelte, dass er sie nicht liebte, wie sie es sich wünschte.
Sie war abhängig von ihm wie von Drogen. Nicht ein einziger Passant habe sie angesprochen und ihr Hilfe angeboten, erzählte sie mir, denn ich war nicht dabei gewesen. Die meisten Menschen ekeln und fürchten sich einfach zu sehr vor Junkies. Und Josephine konnte man ansehen, dass sie Fixerin war. Sie hatte blasse, spröde Haut, dunkle Augenränder und wog kaum 50 Kilo bei einer Größe von einssiebzig. Ihr schönes, langes, rotes Haar war nur noch ein großer Knoten, weil sie vor lauter Leid einfach vergessen hatte, es zu kämmen. Als es ihr nur noch wehtat, weil es schon verfilzte, mussten wir es ihr abrasieren.
Ihr Schläger, Heiko, war auch immer auf der Szene. Er saß meistens einfach neben uns auf der Bank am Anhalter Bahnhof oder in der Hasenheide, wo wir nachmittags zusammen ein paar Zigaretten rauchten. Er saß einfach nur da, trank und meckerte über alles, pöbelte jeden von der Seite an. Aus allen Poren stank er ekelerregend nach einer Mischung aus altem, süßlichem Schweiß und Alkohol, er hatte Dreck unter viel zu langen Fingernägeln, und seine Haare wusch er sich, wenn es hoch kam, einmal alle vier Wochen.
Keine Ahnung, was Josephine an ihm fand. Sie wollte Familie, sie hätte gerne ein Kind gehabt. Aber selbst der Zusammenbruch reichte nicht, dass sie es schaffte, ihn zu verlassen. Stattdessen ertränkte sie ihre Gefühle. Sie war schon morgens immer so besoffen, dass sie weder laufen noch reden konnte. Immer hatte sie ein Dosenbier in der Hand, und wenn sie sich dann den ersten Schuss setzte, saß sie für den Rest des Tages eigentlich nur noch völlig weggetreten oder kotzend auf dem Boden. Sie war erst 32, aber schon voll am Ende.
Zwei weitere Freunde waren Paco und Fritz, nette Jungs Anfang 20. Genau wie ich waren sie immer sauber und ordentlich gekleidet. Für ihren Lebensunterhalt verkauften sie die Motz.
Und weil das natürlich nicht reicht, wenn du jeden Tag 600 oder 700 Mark brauchst, um deinen Affen zu füttern, gingen sie auf den Strich. An der Joachimstaler, am U-Bahnhof Turmstraße und auch noch am Zoo ist bis heute der Schwulenstrich. Viele der Jungs nennen sich inzwischen Callboy und stehen da nicht nur rum, sondern fahren auch auf Bestellung via Handy durch die Stadt zu ihren Kunden. Am Bahnhof Zoo stehen heute vor allem sehr junge Männer aus Osteuropa.
Heroin ist seit damals sehr viel günstiger geworden. Für ein Gramm bezahlst du heute nur noch 40 Euro, damals war das doppelt so teuer.
Alexander war zwar weiterhin viel unterwegs, merkte aber trotzdem sehr schnell, dass etwas mit mir nicht in Ordnung war. Es dauerte kaum zwei Wochen, bis ich wieder drei, vier Gramm pro Tag brauchte. Ich glaube heute, dass es soweit
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