Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
war jetzt richtig heiß darauf, beruhigte mich aber selbst, indem ich mir sagte: Einmal nach all den Jahren – was macht das schon?
Als ich das Zeug durch das linke Nasenloch zog, brannte es fürchterlich. Es schmeckte bitter, roch metallisch, und mir wurde sofort schlecht. Es dauerte keine Minute, da hing ich über der Kloschüssel. Ich war so clean, dass ich es nicht mehr vertrug. Ich habe nur noch gekotzt, immer und immer wieder, selbst als mein Magen schon leer war. Ich hielt den Kopf über die Schüssel und saures Erbrochenes lief raus, ich musste nicht einmal würgen.
„Geil. Total geil“, dachte ich jedes Mal, wenn sich mein Magen zusammenzog. Nur ein Orgasmus ist geiler als dieser Turn, dachte ich. Wie sehr hatte ich das all die Jahre vermisst?
Der Herzschlag und die Atmung werden langsamer, wenn du auf Turn bist, Darm- und Muskelfunktion werden schwächer, überhaupt beruhigt sich dein Körper. Das hat damit zu tun, dass er Endorphine ausschüttet, wie wenn er zum Höhepunkt kommt oder Schmerz regelt. Angst, Kälte, Hunger, alles Negative kannst du nicht mehr spüren. Zuerst setzt die Schmerzlinderung ein und dann kommst du in einen Zustand beruhigender Euphorie.
Ich weiß, es klingt irre: Du kotzt dir die Seele aus dem Leib, aber es fühlt sich an wie das schönste Gefühl der Welt.
Ich war schon lange nicht mehr so losgelöst, weit weg vom Hier und Jetzt, schwer und leicht zugleich. Miriam und Guido war auch übel geworden, sie hatten sich in die Küchenspüle übergeben, die Kotze weggespült und sich dann wieder zurück an den Tisch gesetzt, um Zigaretten zu drehen und die ersten Biere zu öffnen. Ich setzte mich dazu und kratzte mich wie verrückt mit einer Haarbürste, am Po, an den Armen, an den Beinen, es hat überall furchtbar gejuckt. Solchen Juckreiz kannte ich, den bekommt man, weil das Blut nicht mehr richtig durch deine Adern kommt.
Aber auch das fühlt sich himmlisch an, wie ein Kribbeln im ganzen Körper. Es juckt überall, und es ist herrlich.
Es war ein toller Abend, der damit endete, dass wir alle im Wohnzimmer vor dem Fernseher einschliefen. Als ich das Haus verließ, machte ich mir keine Platte darüber, was passiert war. Ich war mir in diesem Moment sicher, dass ich nicht mehr abhängig werden würde. Denn dazu war es einfach zu geil.
Wenn das Fixen nämlich zum Muss wird, dann geht dieser Turn weg. Wenn du nur noch deinen Affen füttern musst, dann wird es zur Sucht, denn diesen Flash bekommst du dann nicht mehr, du musst nur nachschießen, um dich überhaupt normal zu fühlen, gegen den Turkey. Und das ist scheiße. Weniger ist eben manchmal doch mehr.
Und ich hatte ja nur ganz wenig Stoff. Das Päckchen in meinem Portemonnaie enthielt circa ein Gramm. Als Einsteiger benötigst du für einen Schuss Heroin etwa zehn Milligramm, zum Rauchen oder Schniefen vielleicht 25 Milligramm. Damals am Bahnhof Zoo hatte ich bis zu vier Gramm am Tag gebraucht, damit ich nicht auf Turkey kam, aufgeteilt auf sechs bis acht Spritzen. Ein Gramm war nach meiner Erfahrung von damals also eine Winzmenge. Vierundzwanzig Stunden, nachdem ich Guido und Miriam verlassen hatte, war alles weg.
In Berlin wartete nur die leere Wohnung auf mich. Alexander war auf Tournee oder so. Als er zwei Tage später kam, konnte ich mich gar nicht richtig freuen, weil ich total betäubt war. Ich war dann doch zur Szene gegangen – es fühlte sich besser an, als allein zu sein.
Die Szene war aber schon längst nicht mehr nur am Bahnhof Zoo, sondern hatte sich auf die ganze Stadt verteilt, Drogensüchtige und Dealer trafen sich zwar auch noch an U-Bahnhöfen, an der Kurfürstenstraße und in der Neuköllner Hasenheide oder im Görlitzer Park. Aber um sich vor Verfolgung durch die Polizei zu schützen, hatten immer mehr Junkies angefangen, gemeinsam in privaten Wohnungen H zu konsumieren, in manchen Buden hingen bis zu 30 und mehr Fixer rum.
Heute heißt dieses Phänomen „Shooting Gallery“, Schuss-Galerie. Der Vorteil ist, dass man gegenseitig auf sich aufpassen kann.
Beate hatte mich in so eine Wohnung nahe der Hasenheide mitgenommen, eine Freundin aus Bahnhof-Zoo-Zeiten, eine dürre, ziemlich kleine Frau von nur einsfünfzig, die mit 20 schon am ganzen Körper Abszesse und fiese Entzündungen hatte und wie 40 aussah, aber trotzdem immer noch genug Geld mit Freiern machte, um ihre Sucht zu finanzieren.
Außer Beate gab es Hatice, eine ganz liebenswerte Türkin, die sieben Jahre zuvor schon mindestens 80
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