Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
hast alle so lieb, und das teilst du auch mit, alle Hemmungen verschwinden, und es kribbelt, als hättest du Schmetterlinge nicht nur im Bauch, sondern auch in den Armen, den Beinen, unter den Füßen, einfach überall.
Es war nicht mein Ding. Ich suche eher nach Downern, also Drogen, die mich runterbringen, nicht aufputschen. Aber damals war ich ständig auf der Suche nach dem nächsten Kick. Nach Kicks, die viel stärker waren als mein gebrochenes Herz. Das hätte mich fast umgebracht.
Später in Deutschland, Helmut Kohl war gerade Kanzler geworden, berichtete ich meinen Leuten von der neuen Droge Ecstasy. Ein Freund von mir ist daraufhin in die USA geflogen und hat einen ganzen Koffer davon geholt. Die Substanzen waren damals noch gar nicht verboten in Deutschland, das war Anfang der Achtziger, und wir haben mit dem Zeug gefeiert und es verkauft.
Alex lernte auf einer seiner Reisen Tessa kennen, eine hübsche Wienerin, die mit der Künstler- und mit der Drogenszene nichts am Hut hatte. Sie war jung und gesund und himmelte ihn an. Da war es mit uns vorbei. Obwohl ich es hatte kommen sehen, ertrug ich es nicht, verlassen zu werden. Den Schmerz habe ich betäubt, bis zum Gehtnichtmehr. Ich bin andauernd in Ohnmacht gefallen und kauerte eigentlich nur noch zu Hause rum. Aß nichts, trank nichts, nur sehr viel Alkohol.
Und als ich völlig leer und ständig betäubt war, trat Anna Keel in mein Leben, als wäre sie nun mein Schutzengel. Sie hatte ein Kunststipendium und arbeitete am Kurfürstendamm – ausgerechnet bei dem Künstler, der heute gegenüber meiner alten Wohnung in Teltow sein Atelier hat: Markus Lüpertz.
Jetzt, wo wir in Teltow Nachbarn sind, bin ich auch schon einmal rüber und habe gesagt, wer ich bin. Er gibt eine Zeitschrift heraus, die „Frau und Hund“ heißt. Also bitteschön, hier sind wir, Christiane und Leon, ich und mein Chow-Chow. Frau und Hund. Ob er sich an mich erinnern könne, habe ich gefragt. Aber das mit Anna war da schon 25 Jahre her. Er und sein Team schienen sich nicht sonderlich für mich zu begeistern. Später erfuhr ich, dass der Magazintitel sowieso völlig in die Irre führt, „Frau und Hund“ ist eine Zeitschrift für Kunst und Literatur. Aber das hätten die mir ja einfach mal sagen können, statt mich doof da stehen zu lassen, als wäre ich ein ansteckender Infekt.
Aber zurück zu Anna: Sie war eine Künstlerin und die Frau von Daniel Keel, einem damals schon sehr berühmten Verleger aus der Schweiz. Hohe Literatur und Kriminalromane waren das Erfolgsmodell des Diogenes-Verlags. Die beiden Keels lebten in ganz anderen Kreisen als ich; im vornehmen Zürich. Gerne hätte ich einen besseren ersten Eindruck hinterlassen. Aber Heiko Gebhardt, ein Stern-Kollege von Horst und Kai, die fünf Jahre zuvor mein »Happy End« geschrieben hatten, in dem ich angeblich clean von der Weltbühne abging, gab ihr meine Telefonnummer ausgerechnet in dem Moment, als ich wieder rückfällig wurde.
Anna war Anfang 40, als sie mich anrief. Sie erzählte mir, dass sie die Jungs vom Stern kenne, dass sie die Frau eines Verlegers aus der Schweiz sei, selbst aber Deutsche, und dass mein Buch das einzige sei, das ihre Söhne Jakob und Philipp je gelesen hätten.
Ich musste lachen. Klar: Was die Eltern machen, ist immer doof. Anna meinte, sie müsse die Frau kennenlernen, die ihre Söhne so fasziniere, dass sie sogar lesen. Und so lud sie mich in ihr halb möbliertes Appartement irgendwo in West-Berlin ein.
Ich kann mich noch erinnern, dass ich vom Lehniner Platz aus mit dem Taxi dahin fuhr. Das konnte man sich damals noch leisten. Ich habe solche Quittungen alle meinem Steuerberater gegeben, als Autorin bin ich ja bis heute selbstständig gelistet und kann so etwas absetzen. Damals bin ich nur Taxi oder Fahrrad gefahren, erst gar nicht rein in die fiese U-Bahn, wo man der Szene in die Arme läuft.
Als ich nun Annas Wohnung betrat, war ich sofort begeistert. Ich mag leere Räume, ich habe selbst auch immer wenig Möbel in meinen Wohnungen gehabt. In Annas Wohnung stand fast nichts, nur ein Bett, ein Tisch und eine Küchenzeile – weiß, alles schick, sehr teuer. Die einzige persönliche Note waren Annas Klamotten, die sie überall ausgebreitet liegen ließ, so wie man das im Hotel auch manchmal macht.
Irgendwie ist da was dran, dass Kreativität Raum braucht. Das Appartement hatte zwei kleine Zimmer und ein Bad. Es gab keine Blumen, keine Fotos, aber in einer Ecke gleich am Fenster stand
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