Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
die sie eigentlich töten könnten, lebendiger zu fühlen, eine Art Hochgefühl zu entwickeln durch Sachen, die sie am Ende zu Fall bringen können. „Wenn Menschen sich mit dem Tod konfrontiert sehen, beginnen sie meist, intensiver am Leben zu hängen.“ Bis dahin hatte ich nie darüber nachgedacht, warum ich mir selbst Dinge antue, die mir am Ende nur schaden, warum mich das Morbide faszinierte. Und auch Hector faszinierte mich. Und ich ihn, das spürte ich.
Das Gewöhnliche gibt mir ein Gefühl der Leere, unterbewusst suche ich immer die Aufregung, um mich lebendig zu fühlen – und die Mittel, mich wieder runterzubringen.
Und Hector war aufregend, in seiner Gegenwart fühlte ich mich, als würde ich betrunken Achterbahn fahren. Mir wurde ganz schwindelig, ich hatte Schmetterlinge im Bauch. Sein Körper war wie aus Stahl, so wie seine Arbeiten. Ich fand das megascharf und wollte unbedingt mit diesem Typen schlafen. Von der Garage aus gingen wir durch die Hintertür ins Haus direkt in sein Bett.
Heute denke ich, dass ich fremdgegangen bin, weil ich ahnte: Auch Alex würde es tun. Ich wusste, er kam mit meinem Rückfall nicht klar. Ich wusste, das mit uns war nicht mehr zu retten. Er war zu jung für so einen Psychoscheiß. Er würde mich für eine andere verlassen. Und so kam es dann auch.
Wir sind zuerst noch zusammen nach San Francisco gefahren, wo er nur arbeitete und ich umherzog und Leute kennenlernte – immer die richtigen, versteht sich. Am Ende eines langen Clubabends landete ich mit lauter fremden Menschen in einem fremden Appartement und rauchte Opium. Wenn ich allein unterwegs war, traf ich immer irgendwie auf Junkies.
Eine Nacht habe ich mit Van Halen durchgekokst, dieser amerikanischen Hard-Rock-Band. Ihr Hit „Jump“ zählt angeblich noch heute zu den einflussreichsten Songs der Rock-Geschichte – und ich war dabei, wie sie an dieser Rock-Geschichte schrieben. Das war auf einer Privatparty von AC/DC in einem pompösen Schloss in Kalifornien.
Rodney Bingenheimer hatte mich dorthin mitgenommen, und auch viele andere berühmte Musiker waren dort. Damals waren diese Anhänger mit dem eigenen Namen auf kleinen Reiskörnern total angesagt. Die Reiskörner baumelten in einer Miniaturflasche an einem Lederband um den Hals der Leute, die das mochten. Die Jungs von Van Halen hatten aber keine Reiskörner in den Fläschchen, sondern Kokain. Ich fand das damals wirklich einfallsreich.
Ein Jahr zuvor war der Sänger von AC/DC nach einer langen Partynacht mit Drogen und viel Alkohol an seinem eigenen Erbrochenen erstickt, aber das ist in der Musikbranche ja genauso normal wie auf der Szene. Inzwischen gab es einen neuen Sänger, Brian Johnson, und alle zusammen feierten ziemlich wild und ausgelassen. Der Gitarrist Angus Young trug seine Schuluniform, mit der er zum Markenzeichen der Band wurde. Überhaupt waren die Künstler in dieser Villa mit Stuck, Goldvertäfelung und schweren, dunklen Teppichen auf Marmorböden so drauf, als stünden sie auf der Bühne – langhaarige Köpfe kreisten zur Musik, es wurde wild getanzt, manche Leute waren halb nackt.
Andere hatten einen Laberflash: Auf Kokain bekommst du einen enormen Energieschub. Du bist überdreht und redest unglaublich viel, je später der Abend, desto sinnloser wird, was du von dir gibst. Darum kann ich mich an die Gespräche auch nicht mehr so wirklich erinnern. Tanzen ist auch nicht so mein Ding, aber ich sah den Rüpeln gerne zu.
In einer anderen Nacht in einem anderen Club kam eine Frau, kaum älter als ich, auf mich zu und fragte, was ich sonst noch alles haben wolle: „What’s your best trip – heroine, cocaine, ecstasy?“ Ich war baff. Ecstasy? „We don’t know about this in Germany”, sagte ich. Wir kannten das tatsächlich nicht. Ich kaufte das Zeug in Pulverform für sieben Dollar, also so viel, wie auch ein LSD-Trip kostete. Das Pulver steckte in diesen Kapseln, wie man sie von Medikamenten kennt. Eine Zeit lang hat man das auch mit Braunem gemacht, ich fand das immer geil, weil man genau sehen kann, was die Hälfte ist.
Jedenfalls probierte ich zum ersten Mal Ecstasy. Die Wirkung setzt nach circa 30 Minuten ein und hält für einige Stunden an. Dein Bedürfnis zu tanzen steigt ins Unermessliche. Du fühlst dich unglaublich stark, verspürst keinerlei Müdigkeit und nimmst weder Hitze noch Kälte wahr. Anders als beim H fühlst du dich energiegeladen und fängst an, unkontrolliert zu kauen und Grimassen zu schneiden. Du
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