Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
hingeschmissen, die Gabel und alles. „Wo sind die Schlüssel, wo ist der Kerl?“ Der Mann, Mitte 40, dicker Bauch, arbeitslos, wohnte zwei Stockwerke unter uns. Da ist mein Vater dahin, hat an der Tür geschellt und dem Kerl eine reingehauen. Von da an hat der Mann einen großen Bogen um uns gemacht.
Das war aber nicht das einzig Nette an meinem Vater. Meine ganzen Schulkameradinnen waren verliebt in ihn. Er war charmant und klug und wusste genau, was er wollte. Das bedeutete allerdings für die, die nicht immer taten, was er wollte, viel Ärger. Auch für mich. Er hatte hochfahrende Pläne, die allesamt scheiterten, und daran gab er zum Teil sicher auch mir die Schuld.
Ich glaube, dass meine Geburt für ihn bedeutete, all seine Träume und Bedürfnisse zurückstellen zu müssen, und dass er deswegen so schlecht mit mir umgegangen ist.
Er war so deprimiert, weil er es zu nichts gebracht hatte. Nun war es meine Mutter, die als Sekretärin für den Springer-Verlag das Geld für die Familie verdiente. Das meiste davon versoff er oder steckte es in seinen dämlichen Buckel-Porsche, den er immer noch behielt, um zumindest nach außen hin etwas darstellen zu können. Das ist für einen Mann nicht leicht, wenn die Frau die Familie ernährt.
Machtdemonstration und disziplinarische Erziehungsmaßnahmen waren sein letztes verbliebenes Mittel, sich Respekt zu verschaffen.
Dieser Mann hat es verstanden, kleine Menschen zu erniedrigen und zu enttäuschen. Er lebte auf großem Fuß, und wir waren froh, wenn wir zu Weihnachten warme Pullover geschenkt bekamen. Dabei wünschte ich mir nichts sehnlicher als ein kleines Schlauchboot. Nichts Besonderes, nur ein Boot mit zwei Paddeln. 50 Mark hätte das gekostet. „Ja, kriegst du“, sagte er vor Ostern. Nichts. „Zum Geburtstag“, hieß es dann. Der ist am 20. Mai, und „vorher ist es sowieso nicht warm, und du kannst gar nicht damit fahren“. Bis Weihnachten gab es nichts. „Macht nichts, kannste ja dann im Sommer sowieso erst gebrauchen.“ Irgendwann hörst du auf zu fragen, aber wünschst dir insgeheim, dass Papa doch noch dran denkt.
Nicht, dass es richtig war, was er gemacht hat. Aber ich verstand ihn auch ein bisschen.
Wie so viele Frauen habe auch ich mir immer Männer gesucht, die meinem Vater ähnelten. Die herrisch waren und so viele Probleme mit sich selbst hatten, dass sie mich niedermachen mussten, um sich besser zu fühlen. Ja, alle meine Männer hatten auch weniger Geld als ich, so wie es bei meinen Eltern gewesen ist. Alle meine Männer waren mehr oder weniger wie mein Vater.
Diese Mischung aus Angst und Zuneigung, schonungsloser Besserwisserei auf der einen und hoffnungsloser Romantik auf der anderen Seite, das kenne ich, und darauf springe ich an – vielleicht unterbewusst in der Hoffnung, ich würde dieses Mal nicht so ohnmächtig sein, wie ich es damals gegenüber meinem Vater war. Ich würde nicht wieder enttäuscht. Ich würde endlich mein Gummiboot bekommen. Es endete aber immer wieder genauso wie damals in Schmerz und Frustration.
So war es ja auch mit Panagiotis und mir zu Ende gegangen. Inzwischen lebte ich wieder in Berlin, allerdings nicht mehr in der Reuterstraße, die ließ ich mit Gode hinter mir, sondern in der Pflügerstraße, ein paar Blocks weiter nördlich in Neukölln. Leider, und das ist wirklich traurig, habe ich meinen Vorsatz, clean zu bleiben, nicht einhalten können.
Stattdessen gab ich mich mit Menschen ab, die teilweise nicht einmal mehr in der Lage waren, irgendetwas anderes zu tun, als zu fixen. Die wirklich am Ende waren.
Das Problem ist oft nicht nur das Heroin, sondern das soziale Umfeld. Irgendwann, das bekommt man selbst gar nicht mit, ist alles im Leben so eingestellt, dass du am Ende doch immer wieder an dieselben Orte gehst, doch immer wieder gleiche Verhaltensmuster an den Tag legst. Und ich rede hier nicht nur von der Sucht, sondern auch von anderen Dingen, die dich immer wieder in die Abhängigkeit führen.
Bei mir zum Beispiel ist es das tief sitzende Problem, nicht allein sein zu können.
Als ich aus Griechenland wieder zurückkehrte und sich mein Zorn über das Geschehene gelegt hatte, blieb nur noch Einsamkeit. Ich wusste nicht, wohin mit mir, ich hatte niemanden außer meinen alten Bekannten von der Szene. Also ging ich zu ihnen, auch wenn sie sicher keine echten Freunde waren. Sie haben ähnliche Tagesabläufe, Probleme, Lebensgeschichten. Das bringt einander schnell sehr nah, und man denkt,
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