Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
leben, die anderen verrecken daran. Es ist ein schmaler Grat dazwischen.
Ich kann auch nicht genau sagen, was den Unterschied ausmacht. Wichtig ist wohl, dass du die Droge nicht gänzlich in den Mittelpunkt deines Lebens stellst und es nicht nur noch darum geht, an Drogen zu denken, Drogen zu beschaffen und Drogen zu nehmen.
Gesunde Menschen können das einfach nicht verstehen. Wenn man Ähnliches erlebt hat, macht das erst einmal vieles einfacher zwischen zwei Menschen. Die meisten Leute, die meine Erfahrungen nicht teilen, können mich nicht begreifen. Wenn jemand wohlbehütet aufgewachsen ist und sich immer auf seine Eltern verlassen konnte, wie sollte der denn nachvollziehen können, dass ich auch den Menschen misstraue, die ich liebe. Ich habe gelernt, dass die Menschen, die mir am nächsten stehen, mich auch am stärksten verletzen können. Wie soll jemand das nachvollziehen, wie soll jemand mit meiner Angst umgehen, der noch nichts Vergleichbares erlebt hat? Wie könnte ich mit so jemandem zusammen sein?
Die Beziehungen mit Gode und Alexander waren schon schmerzhaft genug als Beispiele dafür, dass das nicht funktioniert. Sebastian und ich, wir waren auch deshalb so heftig ineinander verknallt, weil wir damals dasselbe Level hatten. Aber die Erkenntnis, dass einen außer einer ähnlichen Vergangenheit wenig verbindet, ist sehr schmerzhaft.
Sebastian war trotz seiner Lebenssituation ein gepflegter Mann, er duschte bei mir oder in der Solmsstraße. Es hat mir schon geschmeichelt, dass sich dieser junge Beau für mich interessierte. Aber eigentlich war er ständig unterwegs. Es war Rave-Zeit, seine Haare waren blondiert, seine Klamotten neongrell, die Musik laut und die Partys ewig lang. Sebastian tanzte auf der Loveparade und machte die Clubs unsicher. Gegen Müdigkeit wusste er sich zu helfen.
Irgendwann im Januar 1996 ist Phillip entstanden. Als ich bemerkte, dass ich schwanger war, dachte ich: „Wenn du zu doof bist, auf dich aufzupassen, dann musst du jetzt die Konsequenzen tragen!“ Es war für mich keine Frage mehr, abzutreiben. Ich war jetzt 33, und auch wenn das so nicht geplant war, dachte ich doch darüber nach, dass das eine meiner letzten Chancen sein wird.
Außerdem war ich gerade clean vom Heroin, was hätte noch schiefgehen können? Das war alles genau richtig zu diesem Zeitpunkt. Mütter sollen ja auch nicht zu jung sein.
Während der gesamten Schwangerschaft rangen Heißhunger und Übelkeit. Miteinander und um mich. Morgens war mir schlecht, mittags lief ich los, mir saure Gurken, Hering oder Solei zu besorgen. Dann wollte mein Magen das wieder alles loswerden, durch das Übergeben kam der Elektrolyte-Haushalt durcheinander, wodurch ich dann wieder Kohldampf auf Saures und Salziges bekam.
Es waren anstrengende neun Monate, wobei ich am Ende froh war, nur ein einziges Eigenkilo zugenommen zu haben. Ich bekam jede Menge Sommersprossen – die Hormone fördern bei manchen Frauen die Pigmentierung – und meine Haut wurde unglaublich empfindlich. Jede Feder habe ich gespürt. Jeden Windhauch.
Ich war keine stolze Schwangere, das kann ich wirklich nicht behaupten. Ich habe versucht, mich nicht zu sehr auf mein Kind zu freuen, weil ich Angst hatte, dass irgendetwas nicht in Ordnung sein könnte. Was, wenn es tot ist? Auch darüber nachdenken, wie es heißen soll, wollte ich nicht. Ja, ich wollte nicht einmal wissen, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird.
Gymnastik und diesen ganzen Schwangerschaftskram habe ich nicht gemacht, obwohl Sebastian es mehrfach vorgeschlagen hat.
Menschen bekommen schon seit Millionen Jahren Babys, ohne diesen Schnickschnack. Es war mir viel wichtiger, Ruhe in meinen Alltag zu bekommen und meinen Bauch zu schützen. Ständig stieß ich alle Leute um mich herum weg, damit sie mir ja nicht an den Bauch kamen. Mein Substitutionsarzt schlug mir vor: Entziehen sie doch mit dem Kind zusammen auch vom Methadon. Aber ich hatte Angst, dass es mir plötzlich psychisch schlecht gehen könnte und ich Dummheiten machen würde. Nach Absprache mit dem Doc dosierten wir mich dann im Virchow-Klinikum auf einen Milliliter runter.
An dem Sonntag, an dem ich mit starkem Ziehen im Unterleib aufwachte, bin ich nicht gleich ins Krankenhaus, weil ich einmal erlebt hatte, wie man eine Frau, deren Wehen noch nicht regelmäßig kamen, zweimal wieder nach Hause schickte. Unfassbar! Kein Geld, kein Platz, was auch immer der Grund war. Ich fand das ganz schön schlimm, denn wenn du dein
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