Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
oft bereut.
In diesem Fall schon wenige Wochen später: Weil ich mich von den Keels nicht richtig hatte verabschieden können, wollte ich noch einmal zurück. Über Budapest flog ich knapp zwei Monate nach meinem letzten, ziemlich unglücklichen Besuch wieder nach Zürich, als ich plötzlich die schlimmsten Unterleibsschmerzen bekam, die ich in meinem ganzen Leben hatte. Das Flugzeug war gerade einmal eine halbe Stunde in der Luft. Alles krampfte, so müssen sich Wehen anfühlen, dachte ich. Und schaffte es gerade noch so auf die Bordtoilette, wo ich einen Blutsturz bekam.
Ich hatte keine Ahnung, aber ich wusste in dem Moment, dass mir die Fruchtblase abgegangen war. Es war ein Schock, und wir sollten noch sechs Stunden fliegen. Aber ich konnte weder rufen noch aufstehen, und es wäre mir auch zu peinlich gewesen, das war einfach zu intim. Der Schweiß lief mir die Stirn runter, und mir wurde schwarz vor Augen. Ich bin fast verblutet, zumindest fühlte es sich so an. In der Not legte ich mir eine halbe Rolle Klopapier in die Unterhose.
Als mein Kreislauf einigermaßen stabil war, kroch ich zurück zu meinem Sitz und bestellte bei der Stewardess drei Wodka mit O-Saft. Dann schlief ich erschöpft ein und wachte erst wieder auf, als wir in Zürich landeten.
Anna holte mich am Flughafen ab. Als ich sie sah, warf ich mich ihr gleich weinend in die Arme. „Ich glaube, ich hatte eine Fehlgeburt. So schlimm habe ich noch nie geblutet. Es tat so weh, Anna.“ „Du bist hysterisch“, antwortete sie kurz, und ich war erschrocken über ihre Zurückweisung. „Du bist eine Frau und hast manchmal doll deine Tage“, meinte sie, während wir Richtung Auto gingen.
So kühl war sie selten, aber ich hatte ihr inzwischen auch schon viel zugemutet. In diesem Moment fühlte ich mich nicht nur schlecht, sondern auch furchtbar einsam. Die Fehlgeburt, Annas Unmut, das waren Dinge, die ich mir selbst zuzuschreiben hatte.
Nachdem ich auf dem Weg zum Honda Civic ohnmächtig zusammengebrochen war, glaubte Anna mir. Wir fuhren in ein Krankenhaus, und dort bekam ich die notwendigen Medikamente und eine Ausschabung. Es war schlimm. Sich gegen ein Kind zu entscheiden, ist etwas anderes, als eines zu verlieren. Gerade zurück in Zürich fühlte ich mich so schlimm wie bei meiner letzten Abreise.
Um mich abzulenken von der Traurigkeit und der Wut auf mich selbst, ging ich wieder auf die Szene. Vier Stunden später griff mich die Polizei in einem Gebüsch auf, ich hatte schon zwei Gramm weggedrückt und saß mit heruntergelassenen Hosen da.
Im Jum dachte ich, immer noch zu bluten, und als ich nachsah, standen die Bullen da. „Ich habe mein Kind verloren“, sagte ich ihnen. Es gibt wohl nicht viel, was diese Polizisten noch nicht gesehen hatten, aber mein Anblick muss sie ziemlich entsetzt haben.
„Ziehen Sie erst einmal die Hose wieder hoch“, sagte der eine, „dann bringen wir Sie zu den Sanitätern, die kümmern sich dann um Sie und ihr Baby.“
Als mich der medizinische Notdienst weitgehend aufgepäppelt hatte, ging es auf das Polizeirevier, per Beschluss bekam ich zwei Jahre Einreiseverbot.
Ich rief Anna an. Ich brauchte eine Schulter, jemanden, der mich fest in den Arm nahm und keine Fragen stellte. Anna holte mich ab, nahm mich wieder zu Hause auf und kümmerte sich wie eine Mutter. Ihr Mann wusste von nichts, er dachte wohl, ich sei einfach krank. Anna hat so vieles für sich behalten. Das werde ich ihr nie vergessen.
Eigentlich wollte ich nie Kinder in diese Welt setzen. Diese Welt ist nicht gut zu den Menschen, außerdem wollte ich auf gar keinen Fall eine überforderte und schlechte Mutter sein – so wie es meine war.
Hätte ich gewusst, was für eine Bereicherung ein Kind ist, hätte ich mich schon früher dazu entschlossen.
Aber solange ich mir immer wieder Männer aussuchte, die doch nur waren wie mein Vater? Ich wollte nicht, dass mein Kind einen Vater hat wie ich. Mein Vater war ein Säufer, und er war gewalttätig. Auf der anderen Seite war er ein großer Beschützer, mich durfte niemand einfach so anmachen. Selbst die Polizei durfte mich nicht einfach festnehmen, wie dieser Herr Brecht vom Rauschgiftdezernat es zu spüren bekam.
Auch ein Nachbar in der Gropiusstadt hat mal unangenehme Bekanntschaft mit meinem Vater gemacht, als wir noch Kinder waren. Der Kerl hatte meine Schwester Anette und mich im Hausflur belästigt, mein Vater war gerade beim Essen, als wir ihm das erzählten. Sofort hat er alles
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