Christiane F. – Mein zweites Leben (German Edition)
Notarztwagen, und so landete ich im Krankenhaus. Sie konnten Arm und Schulter nicht eingipsen und behielten mich deshalb einige Tage zur Überwachung da. Ich bin natürlich völlig ausgeflippt, weil ich auf Turkey kam. Das war 1995, von Methadon hatte ich bis dahin noch nie etwas gehört.
Bislang hatten die Ärzte dir höchstens Codein als Schmerzmittel verabreicht, wenn du kalt entziehen wolltest. Aber nun waren die ersten Methadon-Programme gestartet – so kam ich in die Substitution.
Als ich entlassen wurde, musste ich fortan immer zu einem niedergelassenen Arzt oder in ein Krankenhaus, das ambulant Metha verteilte. Da es damals noch nicht so viele Mediziner gab, die das machten, fuhr ich mit der U7 und der U9 in die Turmstraße ins Moabiter Krankenhaus.
Eines Tages, als ich im Wartezimmer saß, kam der süße Zeitungsverkäufer aus der U8 aus dem Behandlungszimmer und schnaufte: „Olle Schnepfe“. Ich musste lachen, denn die Ärztin dort fand ich auch nicht sympathisch; heute weiß ich, dass eigentlich alle Substitutionsärzte unfreundlich sind und sich wenig für dich als Mensch interessieren. Junkies und Ärzte, das ist eben eine reine Zweckbeziehung, in der die einen Geld bekommen und die anderen so viel Stoff, wie sie sich nie leisten könnten. Mehr nicht.
Also lachte ich, als dieser junge Mann sich so aufregte. Er sah mich streitlustig an: „Was gibt es da zu lachen?“ „Naja, ich habe auch schon Stress mit der gehabt. Warum findest du denn, dass das eine olle Schnepfe ist?“, fragte ich. „Weil sie sich aufregt über 17 Milliliter“, sagte er.
Ich selbst bekam damals zwölf Milliliter Methadon, und das kam mir auch zu wenig vor. Heute, mit 51, nach fast 20 Jahren Substitution, weiß ich, dass das total viel ist. Sebastian meinte allen Ernstes, er bekäme mit 17 Millilitern noch nicht genug. Dabei haut das jeden Ochsen um. Die höchste Dosierung, von der ich jemals gehört habe, sind 23 Milliliter. Mehr tötet selbst den härtesten Hardcore-Junkie.
Ziemlich schnell waren Sebastian und ich heftig ineinander verknallt. Und er erzählte mir seine Geschichte: Sebastian Fischer wurde 1972 in Bayern geboren. Seine Mutter ist Heilpraktikerin, sein Vater aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen. Es kam dann aber, Sebastian war sechs, ein neuer Mann in das Leben der Mutter und drei beziehungsweise vier Jahre später kamen seine Halbgeschwister zur Welt. Doch Alfred, sein Stiefvater, und Sebastian konnten sich von Anfang an nicht leiden. Die beiden unter einem Dach, das war eine explosive Mischung. Seinen Frust und seine Einsamkeit kompensierte Sebastian mit allerlei Unfug, den er anstellte. Genau wie bei mir wurde die Clique die neue Familie. Es waren aber Freunde mit keinem allzu guten Einfluss. Sebastian begann zu kiffen und experimentierte mit vielen Partydrogen, zur Schule ging er kaum noch.
Als Sebastians Verhalten der eigenen Familie zu schwer zusetzte, zog er zu seinem leiblichen Vater. Zwei Jahre zuvor, mit 15, hatte er seinen Vater erst richtig kennengelernt und zog schließlich zu ihm nach Hamburg. Zwischen den beiden war die Liebe und das Vertrauen sehr stark, und der Vater machte seinem Jungen klar, dass er ein Drogenproblem hatte. Zuerst einmal aber waren die alten Gewohnheiten stärker, und Sebastian zog wieder zu seiner Clique nach Bayern. Nach einer Weile und vielen weiteren Drogennächten konnte Sebastian annehmen, was sein Vater ihm gesagt hatte, und recherchierte nach den besten Entzugskliniken des Landes. Es dauerte fast ein Jahr, bis er in Berlin-Grunewald als Patient aufgenommen wurde. Und ein weiteres Jahr, bis er bald alles über die chemische Wirkung von Drogen und die Mechanismen der Sucht wusste. So weit, so gut. Doch als er wieder entlassen wurde, vollkommen allein und ohne eine Vorstellung davon, wie sein Leben weitergehen sollte, saß er auf der Straße. Mittellos, obdachlos, ziellos. So dauerte es nicht lange, bis Sebastian rückfällig wurde.
Natürlich hasst man sich dafür. Ich kenne keinen Junkie, der glücklich darüber ist, wenn er rückfällig wird.
Du lügst andauernd jeden an, darin bist du gut. Vor allem dir selbst machst du ständig etwas vor. Es ist nur das letzte Mal. Nur noch ein Mal. Aber insgeheim weißt du, dass etwas mit dir und deinem Leben nicht stimmt.
Die Vorstellung, daran etwas zu ändern, macht dir aber verdammt viel Angst, und darum ballerst du dich einfach wieder zu, damit du den ganzen Scheiß vergisst. Die einen lernen, damit zu
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