Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200
bindende Entscheidung kaum herbeizuführen und noch schwerer durchzusetzen war, kam es nach den Worten Einhards, des Biographen Karls des Großen, in über 30 Jahren zu «dem langwierigsten, grausamsten und anstrengendsten Krieg des Frankenvolkes»[ 7 ], in dessen Verlauf der weite Raum zwischen Niederrhein und Elbe wohl überhaupt erst zu einer erfahrbaren Gesamtheit wurde. Karl war es, der von den seit langem üblichen Strafexpeditionen zu bewußter Eroberung überging, indem er 775 angeblich beschloß, «das treulose und wortbrüchige Volk der Sachsen solange mit Krieg zu überziehen, bis sie entweder besiegt und zum Christentum bekehrt oder völlig ausgelöscht wären»[ 8 ]. 777 glaubte er nach beträchtlichen Anfangserfolgen in Westfalen bereits am Ziel zu sein und hielt in Paderborn erstmals eine Reichsversammlung auf sächsischem Boden. Doch regte sich alsbald auf Initiative Widukinds, eines Adligen, verbreiteter Widerstand, der sich auch gegen die eigene Führungsschicht richtete, soweit sie mit den Franken paktierte. Daraus erwuchs ein zäher, immer weitere Landstriche heimsuchender Kleinkrieg, der von Karl als Aufstand gegen seine bereits etablierte Herrschaft empfunden und beiderseits mit großer Erbitterung geführt wurde. Auf Rückschlägewie ein verlorenes Gefecht im Weserbergland mit prominenten Gefallenen aus seiner engsten Umgebung reagierte der König 782 mit drakonischen Strafen («Blutbad» von Verden) und einschüchternden Gesetzen. Der Höhepunkt war überschritten, als der Frankenkönig 784/85 auch den Winter im Sachsenland verbrachte und anschließend bis zur Unterelbe vorrückte, woraufhin sich Widukind, der zeitweilig zu den Dänen geflohen war, geschlagen gab und in der Pfalz Attigny die Taufe empfing. Nach einigen Jahren trügerischer Ruhe flammte seit 792 neue Unruhe in Sachsen auf und veranlaßte Karl von 794 bis 799 zu jährlichen Heereszügen dorthin, bei denen er nun auch über die Elbe hinweg das heutige Holstein erreichte. Erst 804 erloschen die Kämpfe nach einem letzten Auftritt Karls jenseits der Elbe, und Einhard konnte behaupten, er habe Sachsen und Franken «zu einem Volk verbunden»[ 9 ].
Von deutlicher Improvisation zeugt der in den Sachsenkrieg eingeschobene Feldzug, den Karl im Sommer 778 ins muslimische Spanien unternahm, nachdem ihn Gegner des Emirs von Córdoba um Waffenhilfe gegen ihren Oberherrn ersucht hatten. Der Frankenkönig versprach sich davon wohl Landgewinn südlich der Pyrenäen, doch lief sich das Unternehmen vor Zaragoza fest und mußte abgebrochen werden. Da man sich auf dem Rückweg obendrein die christlichen Basken (Waskonen) zum Feind machte, überfielen diese im Gebirge die fränkische Nachhut und töteten mit vielen anderen auch Karls Paladin Hruodland, den Helden des späteren Rolandslieds vom vermeintlichen Heidenkampf. Erst Jahre später, nachdem es 793 noch einmal zu einem muslimischen Vorstoß bis Narbonne und Carcassonne gekommen war, brachten regionale Kräfte in Aquitanien, darunter auch Flüchtlinge aus dem maurischen Spanien, eine neue Offensive in Gang, die das spätere Katalonien betraf und 801 in der Einnahme Barcelonas durch Ludwig den Frommen, damals Unterkönig von Aquitanien, gipfelte. Da weiterreichende Ziele wie eine Grenze am Ebro verfehlt wurden, blieb es dauerhaft nur bei einem (bald als Spanische Mark bezeichneten) Außenposten fränkischer Macht im südlichen Vorfeld der Pyrenäen.
Karl der Große III: Bayern und Awaren
Daß Karl seine Hand auch nach Bayern ausstreckte, wo seit 748 sein Vetter Tassilo III. Herzog war, lag an sich auf der Linie seiner Vorgänger, die Zug um Zug die peripheren Dukate des Merowingerreiches beseitigt hatten, ließ in diesem Falle aber erstaunlich lange auf sich warten. Wie es scheint, ist erst nachträglich die skandalöse Geschichte konstruiert worden, wonach Tassilo sich bereits 757 durch einen Vasalleneid König Pippin (samt seinen Söhnen) verpflichtet, dann aber durch Fahnenflucht («harisliz») in Aquitanien 763 die Treue gebrochen habe. Tatsächlich verstand es der Bayernherzog – ein Agilolfinger mit karolingischer Mutter, der seit etwa 765 mit einer Tochter des Langobardenkönigs Desiderius vermählt war –, jahrzehntelang eine recht unabhängige Position zu behaupten, die auch darin zum Ausdruck kam, daß er 772 die Taufe seines Sohnes Theodo durch den Papst erreichte. Eine persönliche Begegnung Tassilos mit Karl kam erst 781 in Worms und wohl auf Vermittlung Hadrians I.
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