Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200
Kommunitäten.
Einen wesentlichen Impuls empfing diese Reform aus dem theokratischen Herrschaftsverständnis der spätestens seit 754 gesalbten, von geistlichen Beratern umgebenen und mit dem Papsttum politisch verbündeten Karolinger, die in der Sorge um die gedeihliche Entwicklung der fränkischen Kirche einen verpflichtenden göttlichen Auftrag sahen. Ihre Dominanz, die sich unter Karl als dem «von Gott gekrönten großen und friedenstiftenden Kaiser»[ 16 ] zu einer Art Staatskirchentum steigerte, kam in der Initiative zu Synoden und Kapitularien, bei Bischofserhebungen, in der wirtschaftlichen und militärischen Nutzung von Kirchengut, gelegentlich sogar im Urteil über theologische Streitfragen zum Ausdruck und ließ dem päpstlichen Jurisdiktionsanspruch faktisch keinen Raum. Gleichwohl war als Erbe der Angelsachsen die Verehrung für den hl. Petrus und die römische Kirche groß, was in vielen Reformfragen die Tendenz förderte, tatsächliche oder vermeintliche römische Muster für das gesamte Frankenreich verbindlich zu machen und Entgegenstehendes zu verwerfen. Der egalisierende Effekt bestand eher in einem großräumigen Ausgleich zwischen den verschiedenen Teilen des Okzidents als in einer allgemeinen Ausrichtung auf die Praxis in Rom, wo umgekehrt zentrale Anliegen der karolingischen Kirchenreform seit Papst Eugen II. (824–827) Eingang fanden.
Fränkische Reichsmission
Die fortschreitende Verschmelzung von Reich und Kirche brachte es mit sich, daß für Karl den Großen die dauerhafte Unterwerfung eines heidnischen Volkes und dessen Gewinnung für das Christentum einander bedingten. Zu spüren bekamen das die Sachsen, derenMissionierung den angelsächsischen Glaubensboten solange verwehrt geblieben war, wie nicht die fränkische Staatsgewalt sichtbar ihr Tun unterstützte. Karl machte 772 gleich auf seinem ersten Feldzug dorthin die Zerstörung der Irminsul, einer auf dem Weg an die Weser gelegenen heidnischen Kultstätte, zum Fanal, und die fränkischen Quellen gingen dazu über, das Maß seiner Erfolge in Sachsen nach der Vielzahl der Taufen zu bemessen, von denen zu berichten war. Die Verbreitung des christlichen Glaubens wurde zur gemeinschaftlichen Aufgabe der fränkischen Reichskirche proklamiert und anfangs der Leitung des Abtes Sturmi von Fulda unterstellt, der 779 starb. 780 erfolgte inmitten des von Widukind angeführten Aufstands die Einteilung des Sachsenlandes in Missionsbezirke, die verschiedenen fränkischen Bistümern und Klöstern zugewiesen wurden. Die erbitterten Widerstände, die die militärisch erzwungene Abkehr von überlieferten Kultpraktiken und Lebensformen bei den Betroffenen weckte, beleuchtet indirekt die wohl 782 von Karl verfügte Capitulatio de partibus Saxoniae, ein strenges Sondergesetz, das nicht nur die Zerstörung von Kirchen und die Tötung von Geistlichen, sondern auch die provokante Mißachtung der christlichen Fastenzeit oder die heidnische Feuerbestattung ebenso wie das Verbrennen von vermeintlichen Hexen und sonstige Menschenopfer mit der Todesstrafe bedrohte und in letzter Konsequenz auf einen allgemeinen Zwang zum Empfang der Taufe hinauslief, die ihrerseits die Pflicht zur Leistung des Kirchenzehnten nach sich zog[ 17 ]. Als expliziter Versuch, die Christianisierung mit offener Androhung von Gewalt zu erreichen, hat die Capitulatio jedenfalls im Frühmittelalter nicht ihresgleichen, auch wenn die Quellen nicht gestatten, die tatsächliche Anwendung ihrer Bestimmungen nachzuprüfen. Kein Zweifel besteht jedoch, daß die Etablierung eines zumindest rudimentären kirchlichen Lebens in Sachsen ganz vom Verlauf der blutigen Auseinandersetzungen abhing, in denen die Franken nicht ohne manche Rückschläge mit der Zeit die Oberhand gewannen. Erst nach Widukinds Taufe kam es 787 zunächst in Bremen zur Einrichtung eines festen Bischofssitzes, der indes 789 nach dem Tode des ersten Inhabers,des Angelsachsen Willehad, bald wieder erlosch. 799 erlebte Paderborn die Weihe einer Kirche von besonderer Größe, doch scheint eine reguläre Diözesanverfassung mit abgegrenzten Sprengeln erst nach dem Ende aller Kämpfe eingeführt worden zu sein, denn ziemlich gleichzeitig um 805 finden sich die ersten gesicherten Zeugnisse für Bischöfe in Mimigernaford/Münster, in Osnabrück, in Minden und auch wieder in Bremen, die alle der Kölner Kirchenprovinz zugeschlagen wurden, ferner in Paderborn, neben dem sich als weitere Mainzer Suffragane nach 814 auch noch die
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