Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200
Gesandtschaft zu Papst Nikolaus I. nach Rom, der gerade mit dem Patriarchen Photios von Konstantinopel in heftigem Streit lag. Der Bitte um Anweisungen für die christliche Lebensführung entsprach der Papst mit einem ausführlichen, in 106 Sinnabschnitte gegliederten Lehrschreiben, das eine spürbar gegen die griechische Kirche gerichtete Tendenz aufwies, aber den Wunsch nach einem eigenen Patriarchen für Bulgarien ausweichend beantwortete[ 24 ]. Mit dem Ziel, das Land für die römische Kirche zu gewinnen, wurde eine hochrangige Gegengesandtschaft zu Boris abgeordnet, doch kam es zu keiner Einigung über die Person des erbetenen Erzbischofs. Daraufhin wandte sich der Khan doch wieder Konstantinopel zu, wo sich nach der Ermordung des Kaisers Michael und dem Sturz des Patriarchen Photios (867) ein konzilianterer Kurs durchsetzte und die Bereitschaft bestand, den Bulgaren innerhalb der griechischen Gesamtkirche Sonderrechte einzuräumen. So fiel 870 am Rande des VIII. Ökumenischen Konzils in Konstantinopel die grundsätzliche Entscheidung für ein orthodoxes Christentum der Bulgaren und für einen eigenen, vom Patriarchen geweihten Erzbischof, der sich in Pliska niederließ, dem Herrschaftszentrum des Khans. Unter Boris’ jüngerem Sohn Symeon (893–927), der die Konfrontation mit Byzanzerneuerte, wurde die griechische Liturgie durch die slawische nach dem Muster von Konstantinos/Kyrillos und Methodios abgelöst und 918 der jetzt in Preslav, der neuen Hauptstadt, residierende Erzbischof der Bulgaren zum Patriarchen proklamiert, was Byzanz 927 anerkennen mußte.
3. Das karolingische Großreich: Impulse für die Zukunft
In seiner Ausdehnung von der Unterelbe bis zum Tiber und vom Ebro bis zum Plattensee umfaßte das Reich Karls des Großen und seiner Nachfolger fast die gesamte lateinische Christenheit des europäischen Festlands (mit Ausnahme allein Nordspaniens und Unteritaliens). Es unterstand seit 751 und bis 840 fast ununterbrochen einem obersten Herrscher und löste sich auch danach nur zögernd auf, so daß langfristig günstige Bedingungen für eine großräumige Integration und den Ausgleich regionaler Entwicklungsunterschiede gegeben waren. Auch wenn das allenfalls teilweise bewußte Politik der Karolinger war, hinterließen sie auf den verschiedensten Lebensgebieten vereinheitlichte Regelungen und Institutionen, die den weiteren historischen Weg nicht nur West- und Mitteleuropas, sondern des ganzen Kontinents bestimmt haben.
Ein Reich aus vielen Völkern
Weit mehr noch als unter den Merowingern stellte das Reich der Karolinger einen multiethnischen Verband dar. Es wurde nach wie vor als
regnum Francorum
bezeichnet und empfunden, doch fränkisch im vollen Sinne war allein der Kernraum zwischen Loire und Rhein, die
Francia
, und nur allmählich drang der Frankenname im 9. Jh. auch ostwärts in die Mainlande vor. Die von der karolingischen Zentralgewalt nach und nach vereinnahmten Völker (
gentes
) bestanden daneben, wenn auch ohne monarchische Spitze, weiter und traten durch gesonderte Heeresaufgebote, durch eigene Rechtsüberlieferung wie auch als räumliche Gliederungen (
regna
) bei Reichsteilungen sichtbar in Erscheinung. Während einzig dasLangobardenreich mit dem
regnum Francorum
in Personalunion verbunden war (seit 774), galten Burgunder und aquitanische Romanen, Alemannen und Bayern, Friesen, Sachsen und Thüringer untereinander als gleichrangig. Ihre Verschmelzung zu einem einzigen Reichsvolk lag außerhalb des Vorstellbaren, vielmehr blieben ihre normativen Gepflogenheiten nach dem Prinzip der Personalität des Rechts – neben der fränkischen Lex Salica (aus dem 6. Jh.) und der Lex Ribuaria (aus dem 7. Jh.) – in Kraft und wurden ebenso wie diese unter Pippin dem Jüngeren und Karl dem Großen neu formuliert und ergänzt, teils überhaupt erstmals lateinisch kodifiziert. Dazu gab 802/03 das gesteigerte Sendungsbewußtsein des neuen Kaisers den Anstoß, aber auch das Bedürfnis nach korrigierenden Eingriffen zur Angleichung an fränkische Muster. Einhard, der es miterlebt hat, hielt fest, Karl habe die Rechte aller
nationes
unter seiner Herrschaft, soweit sie noch nicht schriftlich vorlagen, feststellen und aufzeichnen lassen[ 25 ].
Wie die handschriftliche Verbreitung zeigt, dürfte dabei nicht zuletzt bezweckt worden sein, die Rechte auch außerhalb des Siedlungsgebiets der jeweiligen Völker, zumal in Italien, vorweisbar zu machen, doch ist andererseits gebührend zu beachten, daß
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