Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200
Karls als
basileus/imperator
[ 54 ]. Die Anerkennung betraf allerdings nur die Gleichheit im Kaisertum, nicht im Römertum, denn seither verschwand, offenbar vereinbarungsgemäß, jeder römische Bezug aus Karls Kaisertitel (wie auch dem aller späteren Karolinger), während man am Bosporus bald den offiziellen Gebrauch des zuvor nur literarischen Titels «Kaiser der Römer» aufnahm.
Kaisertum und Papsttum nach 800
Karls Distanz zur Art seiner Kaisererhebung, wie sie Einhard zu erkennen gibt, ist auch daran abzulesen, wie er mit der neuen Würde umging. In seinen dreizehn Kaiserjahren ist er nicht mehr nach Rom gekommen, vielmehr empfing er Papst Leo im Winter 804/05 in Reims, Quierzy und Aachen. Als er 806 in der Divisio regnorum gemäß hergebrachter fränkischer Thronfolgepraxis die künftigen Reichsteile seiner drei erbberechtigten Söhne Karl, Pippin und Ludwig festlegte (eine Entscheidung, die sich schon lange vor 800 abgezeichnet hatte), verlor er kein Wort über das Kaisertum, das seinem Wesen nach unteilbar war[ 55 ]. Erst 813, nachdem zwei der Söhne verstorben waren, machte er ohne jede Beteiligung der Römer oder des Papstes den überlebenden Ludwig (den Frommen, 814–840) zum (Mit-)Kaiser, indem er ihn eine goldene Krone vom Altar der Aachener Pfalzkapelle nehmen und sich aufsetzen ließ. Das entsprach weit mehr als die römische Zeremonie von 800 dem byzantinischen Muster, das man vielleicht erst durch die Verhandlungen mit den Griechen näher kennengelernt hatte, und zeigt jedenfalls, daß Karl am Ende seiner Tage das vom römischen Petrusgrab herrührende Kaisertum des Westens zur autonomen Verfügungsmasse des karolingischen Familienoberhaupts rechnete. Nicht anders dachte sein Nachfolger Ludwig, als er schon bald nach dem Herrschaftsantritt mit der Ordinatio imperii von 817 eine Regelung der dynastischen Zukunft traf, die die Universalität des Kaisertums mit der Teilbarkeit des fränkischen Königtums zu versöhnen suchte[ 56 ]. Sie bestand darin, daß er seinem ältesten SohnLothar I. sogleich durch Krönung aus eigener Hand, also wiederum in Aachen und ohne geistliche Vermittlung, das Kaisertum verlieh und ihm den Löwenanteil des Reiches zusprach, während den jüngeren Brüdern auch über den Tod des Vaters hinaus nicht mehr als eine nachrangige Position in Aussicht gestellt wurde.
Allerdings wußten die Päpste zu verhindern, daß ihnen die Verbindung zum Kaisertum vollends entglitt. Als Leos Nachfolger Stephan IV. (816–817) sich 816 bei Ludwig dem Frommen in Reims vorstellte, legte er Wert darauf, den Kaiser und seine Gattin zu salben und mit einer eigens mitgebrachten, angeblichen Krone Konstantins zu krönen, was zwar keine rechtliche Bedeutung hatte, aber geeignet war, an den römischen Ursprung des Kaisertums zu erinnern. Lothar I., der Junior-Kaiser seit 817, der 822 eine gesonderte Herrschaft in Italien antrat, ließ sich gleich zu Ostern 823 von Papst Paschalis I. (817–824) nach Rom einladen und durch eine feierliche Salbung und Krönung in St. Peter in seiner Anwartschaft auf das Haupterbe des Vaters bestätigen, womit erstmals seit 800 das Kaisertum wieder an seinen Ausgangspunkt zurückkehrte. Zehn Jahre später war es dann Gregor IV. (827–844), der inmitten des Aufstands der Söhne gegen Kaiser Ludwig «zur Wiederherstellung von Frieden und Eintracht»[ 57 ] die Alpen überquerte, aber kein Einvernehmen über die künftige Herrschaftsordnung zu vermitteln vermochte. Ohne Einfluß blieb er darauf, daß Kaiser Lothar, der Verlierer im blutigen Kampf der Erben nach Ludwigs Tod (840), seit dem Teilungsvertrag von Verdun (843) bloß noch über das mittlere Drittel des Karlsreiches, immerhin mit Aachen und Rom, gebot. Lothar selbst überließ die Regierung Italiens seinem ältesten Sohn Ludwig II. und sicherte ihm dafür den Rückhalt des Papstes, indem er ihn 844 in Rom durch Sergius II. (844–847) zum «König der Langobarden» salben und krönen ließ[ 58 ] und 850 Papst Leo IV. (847–855) auch zu einer Kaiserkrönung veranlaßte, die nun wieder konstitutive Wirkung besaß. Ludwig II. (850–875) hat nach dem Tod des Vaters (855) zwei Jahrzehnte lang ausschließlich das südliche Teilreich regiert und ist nördlich der Alpen, wo er keine bestimmende Rolle spielte, wiederholt als «Kaiser Italiens» aufgefaßt worden[ 59 ].
Daß er ohne einen männlichen Erben starb, wertete das Papsttum als Kaisermacher weiter auf, denn um die Nachfolge konkurrierten der
Weitere Kostenlose Bücher