Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200
Folge war, daß sie sich wieder mehr nach Westfranken wandten, wo 885/86 die fast einjährige Belagerung von Paris zum Menetekel für die Karolinger wurde: Während Graf Odo die Seineinsel tapfer verteidigte, war es der Kaiser, der sich abermals das Verschwinden der Feinde erkaufte. Von nachlassender Dynamik zeugen einige Niederlagen der Normannen in den Jahren danach, was sie dazu brachte, sich wieder auf England (Wessex) zu stürzen. Doch blieben sie an der unteren Seine weiter präsent und erhielten auch Verstärkung aus dem heimatlichen Norden. Einer ihrer Anführer namens Rollo soll nach späterer Überlieferung um 911 mit dem westfränkischen König Karl dem Einfältigen vereinbart haben, das Gebiet um Rouen aus seiner Hand zu empfangen, sich zur Taufe bereitzufinden und die Region tatkräftig (gegen andere Barbaren) zu schützen[ 71 ]. Im historischen Rückblick erschien dies als die Geburtsstunde des Herzogtums Normandie.
Derlei Aggressionen hatte das Frankenreich von der Heidenwelt jenseits seiner Ostgrenze kaum zu befürchten. Von der Ostsee bis zur mittleren Donau reihte sich in dünner Besiedlung eine große Zahl slawisch sprechender Gruppen aneinander, deren Namen die fränkischen Quellen registrieren. Sie waren ohne ein verbindendes ethnisches Bewußtsein und brachten je einzeln Anführer hervor,die ihre Autorität auf befestigte Plätze gründeten. Aufschlußreich für die Entwicklung ihres politischen Bewußtseins ist die Tatsache, daß das den Slawen gemeinsame Wort für König (kral, krol) vom Namen Karls des Großen herrührt. Größere Einheiten bildeten im Bereich des heutigen (West-)Mecklenburg und Holsteins die Abodriten, die unter erblichen Fürsten mit Karl gegen die Sachsen paktierten, später aber mehr unter dänischen Einfluß gerieten, ferner die Sorben zwischen Elbe und Saale, bei denen sich Hinweise auf eine Wahl ihrer Fürsten finden. Auch die Slawen im böhmischen Kessel erscheinen bereits im 9. Jh. als Gesamtverband unter einer Mehrzahl von Anführern, der sich in gewissem Umfang dem Christentum öffnete, wurden aber bald schon in den Schatten gestellt durch die mährische Reichsbildung, die den größten Gewinn aus dem Machtverfall der Awaren zog. An ihrem Anfang stand der Fürst Mojmir, der kurz nach 830 vom Tal der March/Morava aus einen Rivalen mit Sitz in Neutra/Nitra (im Westen der modernen Slowakei) verdrängte und seine Hoheit weiter zwischen Donau und Karpaten ausdehnte. Das Gewicht seines Reiches veranlaßte 846 König Ludwig von Ostfranken zu einem Feldzug, bei dem er entweder Mojmir zu Fall brachte oder nach dessen Tod in die Regelung der Nachfolge eingriff, jedenfalls aber Mojmirs getauftem Neffen Rastislaw zur Macht verhalf. Dieser blieb ihm jedoch nicht lange treu, sondern strebte politisch wie kirchlich nach Eigenständigkeit, wozu er Kontakte zum Papst in Rom wie zum Kaiser in Konstantinopel suchte, nachdem er 855 einen weiteren bewaffneten Vorstoß der Ostfranken abgeschlagen hatte. Auch eine Niederlage, die ihm Ludwig der Deutsche im Bündnis mit den Bulgaren 864 mitten in Mähren beibrachte, führte keine wirkliche Wende herbei, zumal Rastislaw auf Rückhalt im bayerischen Adel und sogar bei rebellischen Söhnen Ludwigs zählen konnte. Erst 870 kam das Ende, als er mit fränkischer Hilfe durch seinen Neffen Swatopluk bezwungen und nach Regensburg ausgeliefert wurde, wo man ihm den Prozeß machte. Aber auch Swatopluk emanzipierte sich alsbald von seinen Helfern und erreichte 874 in Forchheim ein Abkommen, das faktisch seine Unabhängigkeit anerkannte. So konnteer unbehindert seine Macht auf Böhmen, Schlesien und Teile des späteren Ungarn ausdehnen und zugleich in direkter Beziehung zum Papst, der ihn 885 nicht mehr als Fürsten, sondern als «König der Slawen» titulierte[ 72 ], seine vom griechischen Missionsbischof Methodios begründete Sonderkirche fördern. Nach seinem Tod (894) allerdings setzte ein rascher Niedergang ein, bedingt durch Streit unter seinen beiden Söhnen, aber auch das wieder erwachende Selbstbewußtsein Böhmens und schließlich die Expansivkraft der Ungarn, die binnen weniger Jahre den mittleren Donauraum an sich rissen.
Das byzantinische Umfeld: Süd- und Ostslawen
An seiner europäischen Flanke hatte das byzantinische Imperium des 8./9. Jhs., das sich im Osten in beständiger Konfrontation zu den Arabern befand, einen lebhaften Widerpart in den slawisierten Bulgaren an der unteren Donau. Ihr Reich, seit 681 vom Kaiser anerkannt,
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