Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200
zu haben, daß sich die Dänen von Northumbrien aus, wo sie 866 York einnahmen, über ganz Mercien und Ostanglien bis weit nach Wessex ausbreiteten und ihre flächendeckende Herrschaft durchsetzten. Zur Seele des Widerstands wurde Aethelwulfs jüngster Sohn Alfred (der Große, 871–899), der sich anfangs bis nach Cornwall zurückziehen mußte, doch seit 878 durch militärische Erfolge, aber auch Tributzahlungen sich insoweit Geltung zu verschaffen wußte, daß er ganz Wessex und große Teile von Mercien, 886 auch London zurückgewann. Mehr als einen labilen Modus vivendi für die folgenden Jahre erreichte er nicht, doch das genügte, um ihn zum allein anerkannten König aller Angelsachsen zu machen, die nicht unter dänischer Herrschaft standen, und darüber hinaus auch zum Schirmherrn der übrigen. Von Alfred, dessen Nachruhm nicht zuletzt auf seiner Kodifikation des angelsächsischen Rechts und seinen altenglischen Übersetzungen maßgeblicher lateinischer Texte beruht, leitet sich das Königtum der angelsächsischen Spätzeit (10./11. Jh.) her.
Im fernen Westen Europas hatte es das isolierte Keltentum schwer, sich zu behaupten. Den deutlichsten Anlauf zu einer Reichsbildung unternahmen die festländischen Bretonen, die sich seit jeher der fränkischen Unterwerfung entzogen hatten. Ihr Anführer Nominoë, der als Königsbote Ludwigs des Frommen emporgekommen war, nutzte nach dem Tod des Kaisers (840) die Gunst der Stunde, um die Bretagne politisch und kirchlich vollendszu verselbständigen. Er schuf sich ein neues Erzbistum in Dol, dessen Metropolit ihn wohl 850 zum König salbte, und Karl dem Kahlen blieb nach militärischen Niederlagen nichts übrig, als 851 Erispoë, Nominoës Sohn, der inzwischen an dessen Stelle getreten war, «mit königlichen Gewändern und der väterlichen Herrschaft zu beschenken»[ 69 ], während in Rom die Abspaltung von der Kirchenprovinz Tours keine Billigung fand. Nach der Ermordung des dritten Königs Salomon (874) setzte jedoch ein Niedergang infolge von innerem Zwist und wachsendem Druck der Normannen ein, denen die Bretagne im frühen 10. Jh. anheimfiel.
Demgegenüber begünstigte im von Briten bewohnten Wales (westlich von Offa’s Dyke) schon die gebirgige Landesnatur das Verharren in vier Kleinreichen mit dynastischer Erbfolge, die zugleich vier Bistümern entsprachen. Im politisch noch stärker zerklüfteten Irland war der Vorrang eines «Hochkönigs» mit Sitz in Tara (Connaught), seit dem 7. Jh. in den Händen der weitverzweigten Dynastie der Uí Néill, eher Anspruch als überall akzeptierte Wirklichkeit. In das beständige Hin und Her der regionalen Machtkämpfe kam ein neues Element durch die Überfälle von (norwegischen) Wikingern, die die Grüne Insel seit 795 trafen und im 9. Jh. laufend zunahmen. Abwehrerfolge konnten auch hier zu gesteigerter Herrschaft verhelfen wie bei Malachias I. (846–862), der von Tara aus erstmals ein effektives Oberkönigtum durchsetzte, das indes nicht von Dauer war. Kaum zufällig ging im Laufe des 9. Jhs. die kulturelle Ausstrahlung Irlands auf den Kontinent deutlich zurück. Schottland schließlich, das benannt ist nach den seit dem 5. Jh. zahlreich zugewanderten
Scotti
(Iren), war noch im ganzen 8. Jh. dominiert von den alteingesessenen Pikten, die unter getauften Königen im Süden Grenzkämpfe mit dem angelsächsischen Northumbrien ausfochten und auch die irisch geprägten Gebiete im Westen unter ihre Hoheit brachten. Allerdings scheint dies mit einer sprachlich-kulturellen Assimilation an die Iren einhergegangen zu sein, was es im 9. Jh., auch hier unter dem Druck normannischer Einfälle, König Kenneth I. (843–858) erleichterte, ein auf beide Völker gestütztes Reich zu schaffen, das anfangs denneutralen Namen
Alba(nia)
trug, im 10. Jh. aber bald zur
Scotia
wurde.
Das karolingische Umfeld III: Nordgermanen und Westslawen
In Skandinavien zeichnen sich früh schon die Großländer Dänemark, Schweden und Norwegen ab, doch dauerte es viele Generationen, bis daraus in sich geschlossene, politisch handlungsfähige Königreiche wurden. Am frühesten kam diese Entwicklung in Dänemark (mit Einschluß des heute südschwedischen Schonen) in Gang, wo zwischen 777 und 873 durch fränkische Quellen mancherlei Könige bezeugt sind. Sie scheinen alle demselben weitverzweigten Geschlecht angehört zu haben und regierten nicht selten nebeneinander, teils in friedlicher Absprache, teils in offener Gegnerschaft, waren also wohl
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