Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200
mit dem Basileus, bevor Rjuriks Sohn (?) Igor († 945/46) die Herrschaft weiter ausbaute und abermals mit Byzanz aneinandergeriet. Ob sich alles genauso abgespielt hat, bleibt angesichts der disparaten, mit Legenden verwobenen Überlieferung umstritten, doch tragen auch Münzen und archäologische Befunde dazu bei, die hohe Bedeutung der Fernhandelswege von der Ostsee zum Schwarzen Meer (und weiter nach Byzanz und in den Orient) zu verdeutlichen und mit dem Bedürfnis nach aktivem Schutz dieser Routen plausibel zu machen, daß eine zahlenmäßig kleine Schicht tatkräftiger Skandinavier den Anstoß zur politischen Organisation weiter Räume Osteuropas geben konnte, dabei aber bald von der slawischen Mehrheit sprachlich und kulturell vereinnahmt wurde. In der Abfolge der Rjurikiden tragen Igors Nachfahren keine nordischen Namen mehr, sondern slawische.
Das islamische Spanien und die Sarazenen im Mittelmeer
Seit 711 war der größte Teil der Iberischen Halbinsel (anfangs nur mit Ausnahme des äußersten Nordens) zum westlichen Eckpfeiler der islamischen Welt geworden, die politisch im Kalifenreich von Damaskus zusammengeschlossen war. Unter von dort entsandtenStatthaltern, die sich in Córdoba niederließen und bis zum Ende der 730er Jahre mehrfach noch Vorstöße über die Pyrenäen hinweg unternahmen, breitete sich das Regiment einer dünnen Führungsschicht arabischer Herkunft aus, die sich militärisch auf eine weit größere Anzahl von Berbern aus Nordafrika stützte. Während die Araber zur Ansiedlung den fruchtbaren Süden bevorzugten, das fortan sogenannte Andalusien (seit 716 arabisch al-Andalus, was zur Bezeichnung des gesamten islamischen Spanien wurde), blieben den Afrikanern (Moros, Mauren) der Westen und der Norden überlassen. Die christliche Bevölkerungsmehrheit aus Goten und Romanen wurde – ebenso wie die Juden – nach den Grundsätzen des Islam mit einer Kopfsteuer belegt und zur Loyalität verpflichtet, behielt aber ihre kirchlichen Strukturen, die freilich den Kontakt zur christlichen Welt außerhalb Spaniens einbüßten. Missionseifer legten die herrschenden Muslime, schon der Steuereinnahmen wegen, kaum an den Tag, doch muß es sehr bald in wachsendem Maße zu Übertritten von Christen gekommen sein, die als «Neubekehrte» (Muladíes) dauerhaft, weil sich ihr Status vererbte, eine gesonderte Gruppierung mit minderen Rechten bildeten. Auch die verbleibenden Christen konnten oder wollten sich der Anpassung an die arabisch geprägte Umwelt nicht entziehen und entwickelten ein Eigenleben, das zu ihrer Kennzeichnung als Mozaraber («Arabisierte») führte.
Die innere Festigung von al-Andalus war unter solchen Voraussetzungen keine leichte Aufgabe. In den ersten Jahrzehnten regten sich vor allem unter den Muslimen Gegensätze, die zum Teil noch aus der arabischen Heimat mitgebracht waren, sich sodann aber am Rangunterschied zwischen Arabern und Berbern entzündeten. Ein 740/41 vom Maghreb ausgegangener großer Berberaufstand, der die Gleichstellung aller Muslime zum Ziel hatte, konnte nur mit Hilfe von Truppen aus dem Orient eingedämmt werden und war noch nicht überwunden, als es 749/50 zu einem blutigen Umsturz in Damaskus kam. Die seit 661 regierende Kalifendynastie der Omaijaden wurde von den Abbasiden, die das Zentrum bald nach Bagdad verlegten, nicht nur verdrängt, sondern weitgehend ausgerottet.Als einziger männlicher Omaijade entkam Abdarrahman (I., 756–788), der sich nach Spanien durchschlug und dort 756 mit dem Titel eines Emirs von Córdoba eine vom Kalifat unabhängige Herrschaft begründete. Er orientierte sich an Verwaltungserfahrungen in Syrien und begann mit einer Politik der Vereinheitlichung, die von seinen Nachkommen weitergeführt wurde und ihren Gipfel unter Abdarrahman II. (822–852) erreichte. Im Wege standen dabei autonomistische Bestrebungen mancher lokalen Unterherrschaften und einzelner Städte sowie die Unzufriedenheit der zahlreichen Muladíes, deren wiederholte Rebellionen mit harter Hand bekämpft wurden. Einem gesteigerten Islamisierungsdruck waren die mozarabischen Christen ausgesetzt, was in den 850er Jahren zum Phänomen der «freiwilligen» Märtyrer von Córdoba führte, die ihr Schicksal mutwillig heraufbeschworen, indem sie öffentlich Mohammed schmähten. Diese rigoristische Aufwallung, die bis ins Frankenreich Beachtung fand, aber von mozarabischen Bischöfen mißbilligt wurde, war insgesamt untypisch für die innere Entwicklung des Emirats,
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