Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200
hierarchischer Aufbau der Gesamtkirche ausformen, dessen Spitze im römischen Papsttum seit der Mitte des 11. Jhs. monarchische Züge annahm und an europäischer Reichweite alle weltlichen Gebieter übertraf. Innerlich weiter gefestigt wurde das Gefüge der lateinischen Papstkirche durch Reformbewegungen im Mönchtum des 11./12. Jhs., die viele Konvente über weite Entfernungen miteinander verbanden und zu «internationalen» Orden in enger Rückbindung an die Kurie führten. Doch zeigten sich auch erste Risse, seitdem im Laufe des 12. Jhs. dualistische Lehren der konsequenten Weltabkehr und Leibfeindlichkeit vom Balkan her in die westliche Welt eindrangen und deren Anhänger vor allem in Italien und Südfrankreich als Katharer («die Reinen») separate Gemeinden bildeten, was alsbald von radikalen Kritikern des Reichtums in Kirche und Welt, den nach ihrem Begründer Petrus Waldes († um 1206) so bezeichneten Waldensern, nachgeahmt wurde. Als solchen Gegenentwürfen zur bestehenden Großkirche von Papst Lucius III. und Kaiser Friedrich I. 1184 gemeinsam der Kampf angesagt wurde, leitete dies eine Zeit langwieriger und grausamer Verfolgungen ein.
Der europäische Islam war am Beginn des 13. Jhs. zu einer Randerscheinung geworden. Von al-Andalus, den Eroberungen auf der Iberischen Halbinsel im frühen 8. Jh., die im Laufe von Generationen den mehrheitlichen Glaubenswechsel der christlichen Bevölkerung bewirkt hatten, war durch die Fortschritte der «Reconquista» bis 1212 nur noch ein Bruchteil im Süden übrig, den Sultane aus der Dynastie der Nasriden von Granada aus behaupteten. Die im 9. Jh. okkupierte und deutlich schneller islamisierte Insel Sizilien sowie allerhand Stützpunkte auf dem süditalischen Festland gingen bis zum Ende des 11. Jhs. vollends an die Normannen verloren. Daraus ergab sich die durchaus neuartige Situation, daß im 12. Jh. Muslime in erheblicher Zahl unter christlicher Herrschaft lebten. Mancheverließen gemäß den Normen ihrer Religion das «Land der Ungläubigen» und wanderten nach Nordafrika aus, doch viele suchten zu bleiben und erfuhren im christlichen Spanien neben allenfalls zeitweiliger Duldung zunehmende Repression. Im normannischen Königreich Sizilien, zumal in Palermo, blieb der Islam noch lange ein sichtbarer Bestandteil des öffentlichen Lebens, doch kam es nach der Zeit Rogers II. auch mehrfach zu blutigen Übergriffen. Schließlich war es Kaiser Friedrich II., der die Muslime 1246 endgültig von der Insel vertrieb, nachdem er ihnen schon seit 1223/24 im apulischen Lucera ein geschütztes Reservat eingerichtet hatte, wo sie zur Heerfolge verpflichtet waren. Erst die Offensive der osmanischen Türken auf dem Balkan zur Mitte des 14. Jhs. sollte den Islam als politischen Faktor nach Europa zurückbringen.
Ein Dasein abseits der politischen Geschichte führte die religiöse Minderheit der Juden, die sich durch einen festen Platz im theologischen Weltbild der Christen wie der Muslime von der Heidenwelt abhoben. Nach dem Untergang ihres biblischen Staatswesens im «gelobten Land» Palästina (1./2. Jh. n. Chr.) hatten sie sich in der Zerstreuung («Diaspora») über weite Teile des Römerreiches ausgebreitet, blieben in der östlichen Hälfte des Imperiums stets präsent und hatten im lateinischen Westen frühmittelalterliche Siedlungsschwerpunkte in Spanien (auch unter maurischer Herrschaft) sowie in Italien und Südgallien, von wo aus sie im 9./10. Jh. bis an den Rhein und darüber hinaus vordrangen, seit 1066 auch nach England, kaum dagegen nach Skandinavien. Während sie in Südeuropa in Stadt und Land anzutreffen waren, dominierten nördlich der Alpen städtische Gemeinden, die von Handwerk und Handel, seit dem 11. Jh. zunehmend auch von (den Christen verbotenen) Zinsgeschäften lebten. Gesicherte Gesamtzahlen sind kaum zu gewinnen, doch dürfte der jüdische Bevölkerungsanteil im Hochmittelalter nur an wenigen lokalen Schwerpunkten deutlich mehr als ein bis zwei Prozent betragen haben. Einen umfassenden institutionellen Rahmen gab es nicht, weshalb sich die prinzipiell autonomen Gemeinden zur Wahrung der gemeinsamen religiösen Tradition der Auskünfte von überörtlich anerkannten Rechtsgelehrten bedienten.Die von der christlichen Umwelt sichtbar abweichende Lebensweise, die das Beieinander in gesonderten Stadtvierteln nahelegte (aber den friedlichen Austausch keineswegs ausschloß), ferner Neid auf den relativen Wohlstand vieler Juden und mehr noch
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