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Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200

Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200

Titel: Christianisierung und Reichsbildungen - Europa 700 - 1200 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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ostwärts.
Adel, Königtum und Kirche
    Alle Gesellschaften des hochmittelalterlichen Europa kannten einen erblichen, auf Sozialprestige und Reichtum gegründeten Herrenstand, der zu seinen Vorrechten den exklusiven Gebrauch von Waffen rechnete und nach dem Prinzip von Schutz und Herrschaft Macht über die Wehrlosen besaß. Dieser Adel war das Fundament jeder höheren politischen Ordnung und zugleich deren wirksamste Gefährdung, weil ihm die Bereitschaft zur bewaffneten Selbsthilfe gleichsam im Blut lag und sich nicht selten rebellierend gegen die Könige kehrte. Dementsprechend großen Wert hatten diese auf den grundsätzlichen Konsens wenn nicht mit allen, so doch mit möglichst vielen Großen zu legen, die durchweg im Wettstreit untereinander nach Ausbau und Festigung ihrer Hoheitsbereiche, nach weiterem dynastischen Aufstieg wie auch nach einflußreichen Kirchenämtern strebten. Förderlich war ihnen dabei die Gunst der Herrscher, die sich ihrerseits sowohl militärisch als auch administrativ auf die Unterstützung durch «ihren» Adel angewiesen sahen. Im Ergebnis führte dies zum fortschreitenden Machtgewinn einer Spitzengruppe von Fürsten auf Kosten einer Mehrheit kleinerer Magnaten, die in deren Schatten traten. In verschiedenen Reichen begannen die Könige im 12. Jh. ihre Abhängigkeit vom Wohlwollen der Großen zu vermindern, indem sie durch bezahlte Söldner und sozial aufsteigende Dienstleute ein Gegengewicht zur Adelsmacht schufen.
    Das Königtum wurde im Unterschied zum universalen römischen Kaisertum des Westens und des Ostens gemeinhin auf ein bestimmtes Volk bezogen, das indes weit mehr das Ergebnis als die Voraussetzung einer gelungenen Reichsbildung gewesen sein dürfte. Nach dem Muster der Karolinger, die zur Mitte des 8. Jhs. aus dem Adel des Merowingerreiches zum Königtum der Franken aufgerückt waren und dabei den Segen der Bischöfe und die Salbung des Papstes empfangen hatten, breitete sich in Europa ein Typus von Monarchie aus, der in engem Zusammenhang mit Christentum und Kirche stand. Bei den Nordgermanen in Skandinavien ebenso wie den West- und Südslawen (einschließlich der Ungarn)und auch noch bei der ostslawischen Rus bestand die Reichsbildung im 10./11. Jh. regelmäßig darin, daß sich einer der rivalisierenden Großen gegen seinesgleichen durchsetzte und seiner Vorherrschaft mit der Annahme der Taufe eine neue Qualität gab. Denn dieser Schritt führte zur Anerkennung durch den Kaiser bzw. Basileus wie auch den Papst bzw. Patriarchen und eröffnete den Zugang zu «international» akzeptierten Formen der sakralen Legitimation wie Krönung und Salbung aus geistlicher Hand. Besonders früh sind solche Rituale, die den Vorrang gegenüber allen noch so mächtigen, aber ungeweihten Aristokraten verdeutlichten, für Ungarn (1000) und Polen (1025, ohne Kontinuität, erneut 1076) bezeugt, deutlich später im Verlauf der Christianisierung in Kroatien (1076) und Böhmen (1086, ohne Kontinuität, erneut 1158), in Norwegen (1163/64), Dänemark (1170), Schweden (1210) und Serbien (1217), wozu noch der Sonderfall des 1130 mit Krone und Salböl bedachten normannischen Königreichs Sizilien kommt. Auf der Iberischen Halbinsel, die schon in der späten Westgotenzeit die Salbung von Königen erlebt hatte, kam dergleichen im Hochmittelalter nur gelegentlich vor (1038, 1072, 1111, 1135, 1204), während angelsächsische Könige sich das Zeremoniell schon im späten 8. Jh. zueigen gemacht haben. Nicht zustandegekommen ist diese Art von Monarchie in Irland und Wales, wo die interne Machtkonzentration solange ausgeblieben ist, bis sich die englischen Könige von außen der Herrschaft bemächtigten.
    Verliehen wurde das Königtum, so glaubte man, durch Gottes Willen, der sich sowohl in einer möglichst einhelligen Wahl der Großen als auch in der Abkunft von früheren Inhabern dieser Würde äußerte. Die beiden nur theoretisch widerstreitenden Prinzipien flossen in der Praxis vielfach ineinander, wobei im Laufe des Mittelalters der Erbgedanke in Europa immer mehr an Boden gewann. Dem fränkischen Muster der Königswahl dauerhaft verpflichtet blieb allein das Reich der Deutschen, wo Kaiser Heinrich VI. 1195/96 vergebens auf eine Angleichung an die erbliche Thronfolge in Sizilien hinwirkte, während in Frankreich die traditionelle Königswahl angesichts der steten Abfolge kapetingischerSöhne zur Akklamation verkümmerte und nach 1200 vollends obsolet wurde. Von großen Wahlversammlungen, die

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